Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Herz und Skalpell

Mit Herz und Skalpell

Titel: Mit Herz und Skalpell
Autoren: Julia Schoening
Vom Netzwerk:
alle ihre Show abnahmen?
    In der ersten Reihe saß Alexandra einfach stumm da und ließ Melanies Anschuldigen über sich ergehen. Sie regte sich kein bisschen. Nur eine leichte Bewegung ihres Unterkiefers verriet ihre Anspannung.
    Melanie hatte die Hände wieder sinken lassen. »Ich dachte, das sollten Sie wissen«, erklärte sie mit gequälter Miene, so als habe ihre kleine Ansprache sie unendliche Überwindung gekostet. »Bevor Sie die Stelle des Leitenden Oberarztes neu vergeben.«
    Der Chef wischte sich über die Stirn. »Vielen Dank. Sie können sich wieder setzen.«
    Lindas Herz raste. Ihr Atem ging flach. Was würde der Chef jetzt tun? War dies der Moment, in dem alles aus war?
    »Das ist ja unglaublich«, kam es plötzlich von der vordersten Bank. »Nicht nur, dass sie eine Lesbe ist, die lässt sich auch noch mit ihren Mitarbeiterinnen ein. Eine Schande. Ich bin fassungslos.«
    Linda musste gar nicht hinsehen, um zu wissen, dass der Zwischenrufer Jochen Gärtner war. Im Gegensatz zu Melanie war er kein begnadeter Schauspieler. Seine Worte klangen lächerlich einstudiert.
    »Ruhe, sofort!«, mahnte Professor Rosenbusch. Er faltete die Hände. »Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Aber ich denke, wir sollten Frau Kirchhoff selbst zur Wort kommen lassen.«
    »Was soll die denn da noch zu sagen? Der Fall ist ja wohl eindeutig«, kam es wieder von Jochen.
    »Herr Gärtner, bitte!« Professor Rosenbuschs Stimme klang nun deutlich verärgert. »Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Das ist keine Hexenjagd hier. Jeder hat das Recht, sich zu äußern.« Er wandte sich an Alexandra: »Möchten Sie jetzt und hier Stellung nehmen, oder wäre Ihnen ein persönliches Gespräch mit mir lieber?«
    Alexandra schüttelte den Kopf. Sie erhob sich. Aufrecht schritt sie nach vorn und drehte sich zu ihren Kollegen um. »Ich werde mich gern hier dazu äußern«, sagte sie ruhig. »Ich habe nichts zu verbergen.«
    »Lügnerin«, mischte sich Jochen ein.
    »Es ist wahr, dass ich mit Linda Willer eine Beziehung führe.« Alexandra schaute in die Menge, suchte Lindas Blick. »Und ja, es ist auch wahr, dass ich mit Melanie Taube eine Affäre hatte. Aber weder bei ihr noch bei Frau Willer habe ich irgendjemanden zu etwas gezwungen oder irgendetwas versprochen.« Jetzt blickte sie zu Professor Rosenbusch. »Ich weiß, dass es problematisch ist, weil wir zusammen arbeiten und ich Frau Willers direkte Vorgesetzte bin, aber ich kann Ihnen versichern, dass ich Werte habe und strikt Berufliches und Privates trenne.«
    »So ein Unsinn. Das ist doch unmöglich.« Dieses Mal war es Melanie, die dazwischenfunkte.
    Alexandra wandte sich ihr zu. »Für dich, ja. Und genau das ist das Problem.« Sie nahm einen tiefen Atemzug. »Frau Taube hat noch eine persönliche Rechnung mit mir offen. Vielleicht erinnern Sie sich noch an diesen fatalen Fehler. Das war genau die Zeit, in der wir zusammen waren. Und auch ich habe mich, wie es meiner beruflichen Verantwortung entsprach, gegen sie gestellt.«
    Nun sagte Melanie nichts mehr. Sie starrte Alexandra mit offenem Mund an.
    »Denn ich habe Prinzipien, und an die halte ich mich. Immer.« Alexandra unterstrich ihre Aussage mit einem Nicken. »Berufliches und Privates wird nicht vermischt.«
    »Das ist Unsinn«, schnaubte Melanie noch einmal, aber es klang schon deutlich weniger scharf.
    »Frau Taube, bitte«, ermahnte Professor Rosenbusch sie. »Lassen Sie Frau Kirchhoff ausreden, so wie Sie ausreden durften.«
    Alexandra ergriff wieder das Wort: »Weil Frau Taube immer noch mir die Schuld gibt, dass sie nicht mehr in dieser Abteilung arbeitet, anstatt nach ihrer eigenen Verantwortung zu fragen, hat sie sich mit Herrn Gärtner verbündet und versucht seit einigen Wochen, mich zu erpressen.«
    Erneut ging ein Raunen durch den Frühbesprechungsraum.
    »Ist das wahr?« Stirnrunzelnd sah der Chef zu Jochen, der immer kleiner in seinem Stuhl wurde. »Erpressung?«
    »Nein«, sagte Jochen schwach. Er stammelte. »So . . . ähm . . . kann man das nicht sagen.«
    Alexandra sah ihn nun direkt an, und ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Wie nennst du es dann, mir zu drohen, mein Liebesleben, das niemanden etwas angeht, an die große Glocke zu hängen, wenn ich nicht freiwillig einen Rückzieher in Bezug auf die Stelle als Leitende Oberärztin mache?«
    »Ach, du hast doch keine Ahnung«, schimpfte Jochen mit einer abfälligen Handbewegung.
    Unbeirrt fuhr Alexandra fort: »Ich denke nicht,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher