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Mit Herz und Skalpell

Mit Herz und Skalpell

Titel: Mit Herz und Skalpell
Autoren: Julia Schoening
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Freundin gesessen, um ihr beizustehen, aber die erste Reihe war traditionell den Oberärzten vorbehalten. Auch sie ignorierte die prüfenden und neugierigen Blicke ihrer Kollegen.
    Die Tür ging erneut auf, und der Chef betrat den Raum. Schnell löste sich die Ansammlung um Melanie auf. Sie und Jochen platzierten sich ebenfalls in vorderster Reihe am äußeren Ende. Lennard und Rainer setzten sich links und rechts neben Alexandra. Sie flüsterten kurz mit ihr, aber Linda saß zu weit entfernt, um etwas zu verstehen.
    »Ruhe bitte«, forderte Professor Rosenbusch mit strengem Blick seine tuschelnden und raunenden Mitarbeiter auf. »Wer hatte Dienst?«
    Der diensthabende Kollege berichtete von seinem Nachtdienst, aber das Interesse war noch geringer als sonst. Fast alle waren in wispernde Gespräche mit ihren Nachbarn verwickelt. Auch Linda konnte nicht folgen, aber diesmal war es nicht aus Langeweile; zu sehr war sie damit beschäftigt, Melanies vernichtenden Blicken auszuweichen und Jochens siegesgewisses Grinsen zu ignorieren.
    Nachdem der Kollege geendet hatte, nickte Professor Rosenbusch ihm zu. »Vielen Dank. Und jetzt möchte ich Frau Taube bitten, uns ihr Anliegen vorzutragen.« Er sah Melanie mit skeptischer Miene an. Offensichtlich hatte er keine Ahnung, was sie sagen wollte. »Was liegt Ihnen auf dem Herzen, dass Sie unbedingt an unserer Frühbesprechung teilnehmen wollten?«
    Melanie stand auf und stellte sich neben den Chef. Ihre Haltung, ihre ganze Körpersprache verriet, wie sehr sie diesen Augenblick genoss. Es war ihr Publikum. Sie war der Star. An den Chef gewandt, begann sie: »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir diese Möglichkeit gegeben haben.«
    »Bei so viel Nachdruck fiel es selbst mir schwer, Ihnen Ihre Bitte auszuschlagen«, sagte Professor Rosenbusch in nüchternem Tonfall.
    Melanie räusperte sich. »Es gibt in der Tat etwas Wichtiges, das ich Ihnen mitteilen muss. Es ist mir ein inneres Bedürfnis, nicht länger darüber zu schweigen. Das kann ich mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren.« Sie wirkte sehr überzeugend. Jeder, der sie nicht kannte, musste sie ernst nehmen.
    Nun senkte sie den Blick und fuhr fort: »Zuerst dachte ich noch, es sei ein einmaliger Ausrutscher gewesen. Mit mir. Aber . . .«
    »Kommen Sie zum Punkt«, schnitt Professor Rosenbusch ihr das Wort ab. Herumgeschwafel konnte er nicht ausstehen. Linda jubelte innerlich, obwohl sie so nervös war, dass sie kaum ruhig sitzen bleiben konnte.
    »Natürlich.« Melanie hob ihren Blick wieder. »Herr Gärtner und ich haben jedoch herausgefunden, dass ich kein Einzelfall war.« Unterstützung suchend sah sie zu Jochen, der bekräftigend nickte.
    »Wovon reden Sie?«, hakte der Chef ungeduldig nach.
    Melanie holte tief Luft und warf einen bedeutungsschweren Blick in die Runde. »Frau Kirchhoff nutzt ihre Position aus. Sie verführt ihre Mitarbeiter. Und auch jetzt hat sie eine Affäre.« Sie hielt kurz inne und sah triumphierend zu Alexandra, ehe sie weitersprach. Jedes Wort schien sie zu ergötzen: »Mit einer Mitarbeiterin. Sie und Frau Willer sind ein Paar.«
    Totenstille herrschte im Raum. Alle starrten abwechselnd Alexandra und Linda an.
    Linda musste den Kopf senken, sie konnte Melanies Anblick nicht länger ertragen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, und ihre Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in die Handflächen. Es war nicht nur das, was Melanie gesagt hatte; das hatte sie ja mehr oder weniger erwartet. Viel schlimmer war das Wie.
    »Sie benutzt Frau Willer genauso, wie sie damals mich benutzt hat«, fuhr Melanie fort. Der ganze Saal hing wie gebannt an ihren Lippen, niemand schien auch nur zu atmen. »Auch mich hat sie so lange bedrängt, bis ich mit ihr . . . Sie wissen schon.« Die letzten Worte waren nicht mehr als ein Hauch.
    Wider Willen hob Linda nun doch wieder den Blick. Melanie schaute mit betretenem Gesicht zu Boden, sogar ihre Wangen hatten sich leicht gerötet. An ihr war wirklich eine hervorragende Schauspielerin verlorengegangen. Linda musste sich zwingen, nicht einfach aufzuspringen und dazwischenzurufen – oder laut loszuprusten.
    Professor Rosenbusch war der Einzige, der scheinbar unbeeindruckt blieb. »Nein«, sagte er trocken. »Nein, weiß ich nicht.«
    »Bis sie mich ins Bett bekommen hat«, sagte Melanie mit bebender Stimme. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht.
    Ein Murmeln breitete sich im Raum aus.
    »Verdammte Hexe«, zischte Linda. Konnte es wirklich sein, dass ihr
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