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Mit der Reife wird man immer juenger

Mit der Reife wird man immer juenger

Titel: Mit der Reife wird man immer juenger
Autoren: Hermann Hesse
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ist«, abzufinden, sich ihr anzupassen und zu unterwerfen vermögen. Mindestens zweimal, bei seinem Selbstmordversuch im Alter von 14 Jahren und später als 46jähriger in der Krise vor der Niederschrift des Steppenwolf , war es keineswegs sicher, ob Hesse jene Depressionen überstanden haben würde, wenn sich nicht Zufall und Mitmenschen gerade noch rechtzeitig seiner angenommen hätten.
    Daß er neben diesen inneren Konflikten auch die Gefährdungen von außen, die zeitgeschichtlichen Anfeindungen im Ersten Weltkrieg und insbesondere die Bedrohungen durch den Nationalsozialismus, überlebt hat, verdankt er einem politischen Weitblick, der ihn bereits 1912 zum »ersten freiwilligen Emigranten« (Joachim Maass) und ab 1924 zumSchweizer Staatsbürger gemacht hat. Wer in den tagebuchähnlichen Selbstzeugnissen von Hesses Briefen seinen oft erbitterten Gegensatz zu den Tendenzen der Zeit kennenlernt, der ist immer wieder erstaunt, wie lange er diese konfliktgeladene Existenz durchzuhalten vermochte und wie wenig Verbitterung auf seine Werke abgefärbt hat, die nicht mehr den Tumult der Gärung, sondern die oft verblüffende Simplizität der Klärung vor Augen führen.
    Alter und Reife sind – wir erleben es tagtäglich – nicht unbedingt miteinander gekoppelt. »Die Menschen werden zwar oft alt, aber selten reif«, bemerkte dazu der französische Erzähler Alphonse Daudet. Nur wenigen glückt es, trotz körperlicher Hinfälligkeit die innere Elastizität zu bewahren und den Einschränkungen des Alters die Gelassenheit, Toleranz und heitere Aufgeschlossenheit abzugewinnen, die wieder den Charme jugendlicher Unbefangenheit erreicht. Es bedarf dazu eines Vorgangs im Bewußtsein, den Heinrich von Kleist in seinem berühmten Aufsatz über das Marionettentheater folgendermaßen beschrieben hat: »Wir sehen, daß in dem Maße als … die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie (Unschuld) immer strahlender und herrschender hervortritt. Doch so wie sich der Durchschnitt zweier Linien auf der einen Seite des Punktes nach dem Durchgang durch das Unendliche plötzlich auf der anderen Seite einfindet, oder das Bild eines Hohlspiegels, nachdem es sich in das Unendliche entfernt hat, plötzlich wieder vor uns tritt: so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so daß sie zu gleicher Zeit [bei demjenigen] am reinsten erscheint, der entweder gar keins oder ein unendliches Bewußtsein hat.« Der 91jährige Maler Pablo Picasso hat das etwas simpler, aber ähnlich treffend formuliertmit seiner Bemerkung: »Man muß schon sehr lange leben, um jung zu werden.« Im Falle von Hermann Hesse jedenfalls trifft zu, was sein erster Biograph Hugo Ball über ihn sagte: »Er fühlte sich alt in der Jugend und jung im Alter.«

    Unser Themenband setzt mit Beobachtungen ein, die der Dichter als 43jähriger festgehalten hat. Es sind Impressionen über den Frühling, die Wiedergeburt und Erneuerung der Natur, dargestellt von einem Mann in der Mitte des Lebens, im Bewußtsein der Vergänglichkeit und Flüchtigkeit der Erscheinungswelt, in die er sich einbezogen weiß, ohne sich ihr zu widersetzen. Die sich alljährlich wiederholende Regeneration des Lebens ist für ihn kein Anlaß zur Klage darüber, daß er sich selbst nicht mehr in dem gleichen Stadium befindet, welches den Frühling so strahlend und hoffnungsfroh macht, sondern sie wird ihm zum Ansporn zur eigenen Wandlung und Regeneration. Längst kennt er die Relativität von Alter und Jugend. Sind doch »alle begabten und differenzierten Menschen bald alt, bald jung, so wie sie bald froh und bald traurig sind« … »Aber man ist eben mit seinem Alter nicht immer auf einer Stufe, man eilt innerlich oft voraus und noch öfter bleibt man hinter ihm zurück – das Bewußtsein und Lebensgefühl ist dann weniger reif als der Körper, und man wehrt sich gegen dessen natürliche Erscheinungen und verlangt etwas von sich selber, was man nicht leisten kann.«
    Die vergeblichen Gefechte des sich von Krise zu Krise verjüngenden Bewußtseins gegen das Nachlassen des Körpers sind auch Hermann Hesse nur allzu vertraut. Als »Mann von fünfzig Jahren« ist er einerseits kurbedürftig, andererseits von solch einem Lebenshunger getrieben, daß er erstmals im Leben Tanzstunden nimmt, die Nächte auf Maskenbällenverbringt und sich dabei selber mit einem Galgenhumor zusieht, der längst die Vergeblichkeit dieser Flucht nach vorn
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