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Mit der Reife wird man immer juenger

Mit der Reife wird man immer juenger

Titel: Mit der Reife wird man immer juenger
Autoren: Hermann Hesse
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Lachen gar nicht so ahnungslos und dumm war wie es uns dann auch nach Jahrzehnten hat scheinen wollen. Ja, und daß am Ende die einzige Altersweisheit, die Bestand hat, im Wieder-Kind-Werden besteht.
    Mit Gedankenspielen ähnlicher Art reagiere ich meistens auf Nachrichten von sechzigsten, siebzigsten oder fünfundsiebzigsten Geburtstagen im Kreis meiner etwas jüngeren Freunde. Sie sind ein Versuch, sich mit Humor des Unbehagens zu erwehren, das uns Altgewordene bei jeder Mahnung an die Schnelligkeit des Zeitablaufs und die Hinfälligkeit unsres Lebens überkommt. Zu den Widersprüchen dieses Lebens, dessen tragischer Aspekt so oft und leicht vom Komischen überspielt wird, gehört es ja auch, daß wir Künstler mit der einen Hälfte unsrer Seele in nichts so verliebt und von nichts so entzückt sind wie vom Augenblick, vom Kurzlebigen, vom blitzschnell Wechselnden der Gebärden des Lebens, und in der anderen Seelenhälfte diese tiefe Sehnsucht nach Dauer, nach Statik, nach Ewigkeit tragen und hegen müssen, diese Sehnsucht, die uns immer wieder dazu treibt, das Unmögliche anzustreben: die Vergeistigung und Verewigung des Vergänglichen, das Kristallisieren des Flüssigen und Wandelbaren, das Festhalten des Augenblicks. Was der Weise im kontemplativen Verzicht auf jedes Tun zu erreichen sucht: die Aufhebung der Zeit, das streben wir Künstler auf dem umgekehrten Wege an: durch höchste Aktivität im Dienst des Festhaltens und Verewigens.
    (Aus einem Brief vom November 1957 an Ernst Morgenthaler)

Albumblatt aus den fünfziger Jahren

    Zum Eintritt in den neuen Lebensraum, den Vorhof des Alters, wünscht ein Alter Ihnen die Gaben, die uns das Leben auf dieser Stufe zu geben hat: vermehrte Unabhängigkeit vom Urteil anderer, vermehrte Unberührbarkeit durch die Leidenschaften, ungestörte Andacht vor dem Ewigen.

    W ir sind neugierig auf unentdeckte Buchten der Südsee, auf die Pole der Erde, auf das Verstehen der Winde, Ströme, Blitze, Lawinen – aber wir sind noch unendlich viel neugieriger auf den Tod, auf das letzte und kühnste Erlebnis dieses Daseins. Denn wir glauben zu wissen, daß von allen Erkenntnissen und Erlebnissen nur die wohlverdient und befriedigend sein können, um die wir gern das Leben hingeben.
    (Aus der Betrachtung »Reiselust«, 1910)

    W enn einer alt geworden ist und das Seine getan hat, steht es ihm zu, sich in der Stille mit dem Tode zu befreunden. Nicht bedarf er der Menschen. Er kennt sie, hat ihrer genug gesehen. Wessen er bedarf ist Stille. Nicht schicklich ist es, einen solchen aufzusuchen, ihn anzureden, ihn mit Schwatzen zu quälen. An der Pforte seiner Behausung ziemt es sich vorbeizugehen, als wäre sie Niemandes Wohnung.
    (Spruch, den Hesse nach der Verleihung des Nobelpreises an seiner Haustür anbrachte)
Uralte Buddha-Figur in einer japanischen Waldschlucht verwitternd
    G esänftigt und gemagert, vieler Regen
Und vieler Fröste Opfer, grün von Moosen
Gehen deine milden Wangen, deine großen
Gesenkten Lider still dem Ziel entgegen,
Dem willigen Zerfalle, dem Entwerden
Im All, im ungestaltet Grenzenlosen.
Noch kündet die zerrinnende Gebärde
Vom Adel deiner königlichen Sendung
Und sucht doch schon in Feuchte, Schlamm und Erde,
Der Formen ledig, ihres Sinns Vollendung,
Wird morgen Wurzel sein und Laubes Säuseln,
Wird Wasser sein, zu spiegeln Himmels Reinheit,
Wird sich zu Efeu, Algen, Farnen kräuseln, –
Bild allen Wandels in der ewigen Einheit.
Chinesische Parabel
    E in alter Mann mit Namen Chunglang, das heißt »Meister Felsen«, besaß ein kleines Gut in den Bergen. Eines Tages begab es sich, daß er eins von seinen Pferden verlor. Da kamen die Nachbarn, um ihm zu diesem Unglück ihr Beileid zu bezeigen.
    Der Alte aber fragte: »Woher wollt ihr wissen, daß das ein Unglück ist?« Und siehe da: einige Tage darauf kam das Pferd wieder und brachte ein ganzes Rudel Wildpferde mit. Wiederum erschienen die Nachbarn und wollten ihm zu diesem Glücksfall ihre Glückwünsche bringen.
    Der Alte vom Berge aber versetzte: »Woher wollt ihr wissen, daß es ein Glücksfall ist?«
    Seit nun so viele Pferde zur Verfügung standen, begann der Sohn des Alten eine Neigung zum Reiten zu fassen, und eines Tages brach er das Bein. Da kamen sie wieder, die Nachbarn, um ihr Beileid zum Ausdruck zu bringen. Und abermals sprach der Alte zu ihnen: »Woher wollt ihr wissen, daß dies ein Unglücksfall ist?«
    Im Jahr darauf erschien die Kommission der »Langen Latten« in den Bergen, um kräftige
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