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Mit der Reife wird man immer juenger

Mit der Reife wird man immer juenger

Titel: Mit der Reife wird man immer juenger
Autoren: Hermann Hesse
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der Tand, den Jugend schätzt,
Auch von mir ward er verehrt,
Locken, Schlipse, Helm und Schwert,
Und die Weiblein nicht zuletzt.

    Aber nun erst seh ich klar,
Da für mich, den alten Knaben,
Nichts von allem mehr zu haben.
Aber nun erst seh ich klar,
Wie dies Streben weise war.

    Zwar vergehen Band und Locken
Und der ganze Zauber bald;
Aber was ich sonst gewonnen,
Weisheit, Tugend, warme Socken,
Ach, auch das ist bald zerronnen,
Und auf Erden wird es kalt.

    Herrlich ist für alte Leute
Ofen und Burgunder rot
Und zuletzt ein sanfter Tod –
Aber später, noch nicht heute!

    » J ugend« ist das in uns, was Kind bleibt, und je mehr dessen ist, desto reicher können wir auch im kühlbewußten Leben sein.
    (Aus einem Brief von 1912
an Wilhelm Einsle)

    W ie lang war es in der Kinderzeit von einem Geburtstag bis zum anderen! Im Älterwerden geht das immer schneller.
    (Aus einem Brief vom Dezember 1960
an seinen Sohn Bruno)

    I m Alter spürt man oft den Widerspruch, daß zwar die Jahre ungeheuer schnell, die Tage oder Stunden aber oft so langsam hingehen.
    (Aus einem Brief vom Dezember 1949 an Otto Korradi)

    M an wird so schnell alt, wenn man mit dem Kurs der Welt uneins ist.
    (Aus einem Brief vom 21. 10. 1929 an Carlo Isenberg)

    I m Älterwerden liebt man den Herbst immer mehr, während man den Frühling fürchtet.
    (Aus einem Brief vom 26. 10. 1929 an Elsy Bodmer)

    E s ist mit dem Altwerden wie Goethe von der Einsamkeit sagt: wer sich ihr ergibt, ist bald allein. Und wer sich dem Altwerden ergibt, ist schnell alt. Jeden Abend steht das graue Gespenst am Bett. Aber ich werde vorher noch einige Male um mich schlagen, und einige Feuerwerke loslassen.
    (Aus einem Brief vom Januar 1920 an Anni Bodmer)

    D ie Großeltern, die Alten, die schon selbst wieder mit dem Kindwerden beschäftigt sind, nehmen die Kinder nicht ernst, so wenig als sie sich selber ernst nehmen. Pathos isteine schöne Sache und jungen Menschen steht es oft wundervoll. Für ältere Leute eignet sich besser der Humor, das Lächeln, das Nichternstnehmen, das Verwandeln der Welt in ein Bild, das Betrachten der Dinge als seien sie flüchtige Abendwolkenspiele.
    (Aus der Betrachtung »Abendwolken«, 1926)
Spätsommer
    N och schenkt der späte Sommer Tag um Tag
Voll süßer Wärme. Über Blumendolden
Schwebt da und dort mit müdem Flügelschlag
Ein Schmetterling und funkelt sammetgolden.

    Die Abende und Morgen atmen feucht
Von dünnen Nebeln, deren Naß noch lau.
Vom Maulbeerbaum mit plötzlichem Geleucht
Weht gelb und groß ein Blatt ins sanfte Blau.

    Eidechse rastet auf besonntem Stein,
Im Blätterschatten Trauben sich verstecken.
Bezaubert scheint die Welt, gebannt zu sein
In Schlaf, in Traum, und warnt dich, sie zu wecken.

    So wiegt sich manchmal viele Takte lang
Musik, zu goldener Ewigkeit erstarrt,
Bis sie erwachend sich dem Bann entrang
Zurück zu Werdemut und Gegenwart.

    Wir Alten stehen erntend am Spalier
Und wärmen uns die sommerbraunen Hände.
    Noch lacht der Tag, noch ist er nicht zu Ende,
Noch hält und schmeichelt uns das Heut und Hier.
Von der alten Zeit
    I n meiner Heimat wohnt ein alter Gymnasialprofessor, einer von den guten, der schreibt mir alle Jahre einmal einen Brief. Er wohnt in seinem Einsiedlerhäuschen und Garten still und nachdenklich dahin, und wenn in der Stadt jemand begraben wird, so ist es meist ein früherer Schüler von ihm. Dieser alte Herr hat mir kürzlich wieder geschrieben. Und obwohl ich selbst einer ganz anderen Meinung bin und ihm in meiner Antwort kräftig widersprochen habe, scheint mir seine Betrachtung über die alte und neue Zeit doch lesenswert, so daß ich dieses Stück aus seinem Brief hier mitteile. Es heißt:
    »… Es will mir nämlich vorkommen, die heutige Welt sei von der, die zu meinen jungen Zeiten noch bestand und galt, durch eine größere Kluft getrennt, als sonst Generationen voneinander getrennt sind. Wissen kann ich es nicht, und die Geschichtschreibung scheint zu lehren, meine Ansicht sei ein Irrtum, dem jedes alternde Geschlecht verfalle. Denn der Fluß der Entwicklungen ist ein stetiger, und zu allen Zeiten sind die Väter von den Söhnen überwunden und nicht mehr verstanden worden. Dennoch kann ich mein Gefühl nicht ändern, es sei – wenigstens in unserem Volk und Land – in den letzten Jahrzehnten alles viel gründlicher anders geworden und als habe unsere Geschichte eine viel raschere Gangart angenommen als in früheren Zeiten.
    Soll ich bekennen, was mir an diesem Umschwung des
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