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Mit der Reife wird man immer juenger

Mit der Reife wird man immer juenger

Titel: Mit der Reife wird man immer juenger
Autoren: Hermann Hesse
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Seelenkraft schädigt, indem sie von der Weltanschauung bis zum Hausgerät eine Abneigung gegen das Stabile hat; man macht schon den Kindern das Dichten, Schaffen und eigene Mitleben mit den Dingen schwer, indem man sie durch viel zu viel Spielsachen und Bilderbücher reizt. Und man macht den Erwachsenen jedes Glauben, jedes innige Erfassen und Festhalten so schwer, indem man gar zu bequem und wohlfeil in jeder Bude darbietet, was langsam und mit Hingabe erworben werden sollte. Nun meint jeder alles erraffen zu müssen, und nichts ist ihm leichter gemacht, als von der Kirche zur Religionslosigkeit, von da zu Darwin, von da zu Buddha, von da zu Nietzsche oder Haeckel oder sonstwohin überzugehen, ohne daß er sich viel zu bemühen und zu studieren braucht. Es ist so leicht geworden, Bescheid zu wissen, ohne lernen zu müssen.
    Gewiß wird die Menschheit nicht daran zugrunde gehen.Und ebenso gewiß werden auch heute wie immer die innerlich Tüchtigen auf alle bequemen Wege und Erfolge verzichten. Aber es ist ihnen schwerer gemacht. Und das Leben im ganzen, der Durchschnitt des häuslichen und alltäglichen Lebens und Verkehrs ist gesunken. Es war vielleicht spielerisch und töricht, wenn früher viele Hausväter angenehme Allotria trieben, wenn einer die Flöte blies, einer Kalligraphenkünste übte, einer Uhren auseinandernahm und wieder zusammensetzte, ein anderer Klebearbeiten aus Papier und Pappdeckel machte. Aber es war unschädlich und sie waren zufrieden. Und wenn für das Genie, für den strebenden Einzelnen eine ewig dürstende Ungenüge notwendig und heilsam ist, so ist für die große Menge der Unbedeutenden Zufriedenheit nicht minder notwendig und heilsam, wenn das Ganze im Gleichgewicht bleiben soll.
    Es gab früher für Familien und selbst für größere Verbände eine Gemeinsamkeit der intimen Erinnerungen, eine Anhänglichkeit an kleine Dinge der Außenwelt, die mit geheimer Gewalt fortwirkte und ein köstliches Heimgefühl entstehen ließ. Es gab ein Kennen kleinster Züge aneinander, das für Verstandesmenschen gefährlich sein müßte, für Phantasiemenschen aber eine Quelle innigeren Zusammenhaltens und daneben noch eine Fundgrube für Scherz und Laune wurde. Es gab soviele sogenannte Originale, weil man Lust an kleinen Sonderlichkeiten und Aufmerksamkeit für sie hatte, und da dies gegenseitig geübt wurde, entstand daraus ein heiterer, launig wohler Ton im Verkehr und in der Unterhaltung. Natürlich hat auch heute noch jede rechte Familie ihren Ton, ihre Geheimnisse, Neckereien und Geheimsprache, und das wird immer so bleiben. Aber über die Familie hinaus fehlt es zumeist heutigen Gesellschaften an solcher Farbe und Laune, und was an Behagen fehlt, kannder Aufwand in Kleidern, Speisen, in Raum und Gefühl nicht ersetzen …«

    So schrieb mir mein alter Lehrer. Wie gesagt, bin ich nicht ganz seiner Meinung. Aber es ist doch etwas daran, will mir scheinen.
    (1907)
Zuweilen
    W enn mich der fernen Kindertage
Gedächtnis plötzlich überfällt,
Das ist wie einer alten Sage
Von Dichtersang verklärte Welt.

    Dann muß ich still die Augen senken
Und jener hellen, hellen Zeit
Beklommen und wie einer denken,
Der eine schwere Schuld bereut.
Kurgast
    K aum war mein Zug in Baden angekommen, kaum war ich mit einiger Beschwerde die Wagentreppe hinabgestiegen, da machte sich schon der Zauber Badens bemerkbar. Auf dem feuchten Zementboden des Perrons stehend und nach dem Hotelportier spähend, sah ich aus demselben Zug, mit dem ich angekommen war, drei oder vier Kollegen steigen, Ischiatiker, als solche deutlich gekennzeichnet durch das ängstliche Anziehen des Gesäßes, das unsichere Auftreten und das etwas hilflose und weinerliche Mienenspiel, dasihre vorsichtigen Bewegungen begleitete. Jeder von ihnen hatte zwar seine Spezialität, seine eigene Abart von Leiden, daher auch seine eigene Art von Gang, von Zögern, von Stakeln, von Hinken, und jeder auch sein eigenes, spezielles Mienenspiel, dennoch überwog das Gemeinsame, ich erkannte sie alle auf den ersten Blick als Ischiatiker, als Brüder, als Kollegen. Wer erst einmal die Spiele des nervus ischiaticus kennt, nicht aus dem Lehrbuch, sondern aus jener Erfahrung, welche von den Ärzten als »subjektive Sensation« bezeichnet wird, sieht hierin scharf. Alsbald blieb ich stehen und betrachtete mir diese Gezeichneten. Und siehe, alle drei oder vier schnitten bösere Gesichter als ich, stützten sich stärker auf ihre Stöcke, zogen ihre Schinken zuckender
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