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Mit der Linie 4 um die Welt

Mit der Linie 4 um die Welt

Titel: Mit der Linie 4 um die Welt
Autoren: Annett Groeschner
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Als wir nach Haus kamen, war der Weihnachtsmann schon wieder weg.
    Das glücklichste Erlebnis mit der Magdeburger Straßenbahn hatte ich an einem ganz anderen Ort. 2002 war ich auf Lesereise in Rumänien und kam nach Cluj, auf Deutsch Klausenburg. Ich las eine Geschichte aus meiner Kindheit, in der auch eine Straßenbahn vorkam. Plötzlich hörte ich draußen das Geräusch eines Tatra-Wagens. Es war dieses lang gezogene Heulen beim schnellen Fahren, das Knacken der Achsen und das Jaulen beim Öffnen der Tür. Auch das Klingeln war mir bekannt. Keine Frage, es war das Geräusch der Magdeburger Straßenbahn. Als ich nach der Lesung auf die Straße kam, glaubte ich zu träumen. Vor mir hielt wirklich, als hätte sie sich verfahren, eine Magdeburger Straßenbahn, ein Tatra-Zug in hellem Gelb mit der grünen Bauchbinde und dem Symbol der Jungfrau mit dem Kranz auf der Mauer in einem Kreis mit zwei grünen dreigliedrigen Flügeln. Innen gab es noch die Hartschalensitze in Orange und Grau und auch die Schilder, dass man bei einer Beförderung ohne Fahrschein Strafe zu zahlen habe und sich während der Fahrt festhalten solle, klebten noch über den Fenstern. Wer hatte mir diese Straßenbahn geschickt? Zurück in Deutschland, gaben mir die Straßenbahnfreunde die unspektakuläre, weil ganz rationale Erklärung: Die Magdeburger Verkehrsbetriebe hatten ein Teil ihres Tatra-Wagenparks nach Rumänien verschenkt. Und die Rumänen hatten sie auf die Schienen gestellt und einfach fahren lassen, ohne die Wagen vorher umzuspritzen. Wozu auch? Für die meisten Fahrgäste waren es Hieroglyphen aus einer anderen Welt, die bei der Beförderung nicht störten.
    In Rumänien kam mir auch die Idee, überall auf der Welt, wo ich zukünftig hinkommen würde, mit der Linie 4 zu fahren und darüber zu schreiben. Ich litt unter Entzugserscheinungen. Von 1999 bis 2002 war ich zusammen mit dem Fotografen Arwed Messmer in Berlin Bus und Straßenbahn gefahren. Es waren Linien, die Grenzen überschritten: arm und reich, Ost und West, Stadt und Land. (Die 4 war nicht dabei, sie war damals schon die 20.) Ich mochte diesen gleichzeitigen Blick nach innen und außen, diese Beförderung durch Geschichte und Gegenwart. Die literarischen Reportagen waren auf den Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht worden. Vor genau zehn Jahren wurde die Beilage eingestellt. Die Reportagen erschienen 2002 als Buch Hier beginnt die Zukunft, hier steigen wir aus. Unterwegs in der Berliner Verkehrsgesellschaft . Dann war Schluss, aber immer noch saß ich in den Berliner Straßenbahnen und Bussen und machte mir Notizen.
    Also verlegte ich Berlin in die Welt und suchte nach einer Verbindung zwischen den Städten, in die ich kommen würde. Es wurde die 4, aus oben genannten Gründen. Die Orte selbst waren dem Zufall geschuldet.
    Wo mich Lese-, Vortrags- und Urlaubsreisen hinführten, fuhr ich mit der Linie 4, wenn es sie denn gab. Einziges Kriterium war, dass die Linie über der Erde fahren musste, um viel von der Stadt zu sehen. U-Bahnen fielen deshalb weg, sieht man mal von Straßenbahnlinien wie in Bielefeld oder Hannover ab, die für drei, vier Haltestellen U-Bahn spielen. Es war ein Abenteuer, auf das ich mich einließ, denn ich konnte mir nicht aussuchen, wo ich hinkam, das bestimmte die Linienführung. Die 4 führte mich durch Ghettos und an Gated Communitys vorbei, durch schmale, kaputte Gassen und die teuersten Straßen der Welt, durch Industriegebiete und Einkaufsparadiese, über Stock und Stein, uralte, alte und nagelneue Gleise, in gnadenbrotfressende Straßenbahnen und hochmoderne Erdgasbusse, an Klein- und Schlossgärten entlang, über Brücken und auf Berge. Ich musste die verschiedensten Ticketsysteme entschlüsseln, die sich dann aber doch auf vier reduzierten: Schaffner, Kleingeldboxen, elektronisches Ticketsystem, Fahrscheine am Automaten, der sich entweder an der Haltestelle oder im Fahrzeug befindet.
    In keiner dieser Busse und Bahnen überall auf der Welt habe ich mich unsicher gefühlt. Oft wurde ich von Einheimischen begleitet. Ihnen wird am Ende des Buchs gedankt.
    Um nicht wieder in ein tiefes Loch zu fallen, behaupte ich nun einfach einmal, dass dieses Buch Band 1 einer Reihe ist. Es gibt noch einige Linien 4 auf der Welt, mit denen ich nicht gefahren bin. Für Australien fehlte mir das Geld, in Afrika kam ich nur bis Ägypten, in Paris wurde die Straßenbahnlinie 4 nicht rechtzeitig fertig. Skandinavien fehlt, Mailand soll
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