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Mit 50 hat man noch Träume

Mit 50 hat man noch Träume

Titel: Mit 50 hat man noch Träume
Autoren: Bärbel Böcker
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ruhen und streichelte
die Hunde. Mei Ling kam mit dem Jadeöffner in der Hand zurück, und Lao Wang, sich
der Aufmerksamkeit aller Anwesenden bewusst, öffnete behutsam den Umschlag. Er setzte
eine Brille auf, faltete das Schreiben auseinander und las. Nach Minuten, die sich
anfühlten wie eine kleine Ewigkeit, ließ er das Papier sinken, und Bruni bemerkte,
dass sein Gesichtsausdruck sich verändert hatte. Zur Erleichterung über die gesicherte
Zukunft Wang Ais hatte sich nun gut sichtbar auch Stolz gesellt, ebenso ein verräterisches
Zucken um den Mund, das Bruni als Rührung interpretierte. Sie stellte fest, dass
sich auf das blasse Gelb seiner Haut ein rosiger Schimmer gelegt hatte. »Wir haben
gesiegt«, sagte er leise und lehnte sich zurück. Die schmale Altmännerbrust hob
und senkte sich, und seine Familie starrte ihn fassungslos an. »Der Kreisrechtsausschuss
hat entschieden: Unser Tempel darf neu gebaut werden«, flüsterte er, und fügte hinzu:
»Größer als vorher. Wir dürfen eine richtige Tempelanlage bauen.« Als das Stimmengewirr
und Lachen im Raum so anschwoll, dass kaum einer mehr den anderen verstand, ließen
die Freundinnen die Korken knallen.

63
     
    In den kommenden Tagen berichtete
die Presse ausführlich über den Bescheid, dass eine großzügige Tempelanlage genehmigt
worden war, und selbst Bea wurde um ein Interview gebeten. Sie wurde als diejenige
gepriesen, die ehemals die Unterschriftenaktion ins Leben gerufen hatte, welche
den entscheidenden Sinneswandel auslöste, und sie freute sich darüber. All ihre
Mühen hatten Früchte getragen, doch natürlich hatten noch viel mehr Menschen dafür
gesorgt, dass der Tempel wieder erbaut werden konnte, und sie wurde nicht müde,
darauf hinzuweisen, jedoch dosierte sie ihr Wissen der Presse gegenüber und achtete
darauf, was sie sagte. Johannes hatte ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit
anvertraut, dass nicht nur er und Dieter Schmitz mit den Mitgliedern des Ausschusses
gesprochen hatten, privat und ganz vertraulich, sondern auch Hubertus Hohenstein.
Ben Stur und der Verein Gegen Rechts hatten mit ihrer Mahnwache für Aufsehen
gesorgt, und die Berichterstattung in den Medien verursachte den Wirbel, der nötig
war, um ein vorherrschendes Meinungsbild ins Wanken zu bringen und nachhaltig zu
verändern.
    Die Neuigkeit
machte die Runde, und die meisten Einwohner Altenahrs freuten sich mit den Wangs.
Es gab natürlich immer noch einige, die offen ihren Unmut über einen neuen buddhistischen
Tempel im Ort äußerten, aber verglichen mit der Stimmung, wie sie vor dem Anschlag
geherrscht hatte, waren die Einwohner regelrecht handzahm geworden. Grundsätzlich
führte der positive Bescheid dazu, dass die Wangs und die vier Freundinnen besser
über die negativen Stimmen hinwegsehen konnten.
    »Welch ein
Wandel«, sagte Bea zu Caro. Gemeinsam mit Caros Tochter Lilly, die in letzter Zeit
öfter bei ihnen war, weil sie Semesterferien hatte, jäteten sie Unkraut. »Wer hätte
das gedacht.«
    »Es ist
wirklich gut gelaufen«, erwiderte die Freundin und fügte hinzu: »Die Mühe hat sich
gelohnt, ich finde, wir können stolz auf uns sein.«
    »Ich gönne
den Wangs ihren Erfolg auch von Herzen«, versicherte Lilly, während sie eine riesige
Distel ausriss. Die Wurzel saß tief. »Ich kenne sie zwar nicht so gut wie ihr, aber
ich finde, jeder Mensch sollte öffentlich seine Religion ausüben dürfen, egal ob
es sich dabei um eine Kirche, eine Moschee oder um einen Tempel handelt.«
    »Genau«,
sagte Caro und lächelte. Sie und ihre Tochter waren wohl doch aus einem Holz geschnitzt.
    »Ich bin
gespannt, wie der neue Tempel aussieht, es soll ja eine richtige Anlage werden.«
Lilly richtete sich auf und stemmte einen Arm in den Rücken. »Mit Drachen am Dachfirst
oder so, das fände ich chic.«
    »Die Wangs
sind mitten in der Planung«, erwiderte Bea.
    Lilly stöhnte
und massierte sich die Schulter. »Ich verstehe nicht, Mama, warum dir die Gartenarbeit
so viel Spaß macht. Ich finde sie irre anstrengend. Du nicht auch, Bea?«
    »Es geht.«
    »Für mich
ist es die reinste Entspannung«, erklärte ihre Mutter, erhob sich nun auch, streifte
die Gartenhandschuhe ab und stellte sich hinter Lilly. »Komm mal her.« Mit diesen
Worten zog sie ihre Tochter nahe zu sich heran und begann damit, ihr den Nacken
zu massieren.
    Lilly stöhnte
vor lauter Wohlbehagen. »Da! Ja genau, da ist genau die Stelle, hm, tut das gut.«
Sie schloss die Augen und überließ sich ganz den
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