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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut
Autoren: Adam Ross
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der anderen Seite an, ganz ergriffen von seiner eigenen Unsichtbarkeit. Sheppard fand den Umstand, dass man Hastrolls Gefühle beim Betreten eines Raumes spüren konnte, mehr als bemerkenswert. Hastroll saß hoch konzentriert mit dem Rücken zur Tür. Und dennoch war eine winzige Reaktion erfolgt, die Sheppard beim Eintreten nicht entgangen war, weniger eine Bewegung als vielmehr eine Energieübertragung. Es war beinahe, als hätte er fühlen können, wie Hastroll langsam und angewidert blinzelte.
    »Ward.«
    »Sam.«
    »Was meinst du?«
    »Schuldig«, sagte Hastroll tonlos. »Schuldig wie die Sünde selbst.«
    Sheppard stellte sich neben seinen Partner. Hinter der Glasscheibe saß der Verdächtige, David Pepin, und weinte.
    »Du solltest weniger voreingenommen sein, Ward – gib ihm wenigstens eine Chance. Der Mann leidet ganz offensichtlich Qualen.«
    »Qualen der Schuld«, sagte Hastroll und zog die breiten Schultern zu einem Buckel hoch.
    »Vielleicht ist er traurig?«
    »Schuldig, schuldig, schuldig.«
    Die beiden Männer beobachteten den Verdächtigen für eine Weile.
    »Guter oder böser Cop zuerst?«
    »Du gehst rein«, sagte Hastroll.
    Von verspiegelten Scheiben, dachte Hastroll, geht derselbe Reiz aus wie von einer Tonbandaufnahme der eigenen Stimme. Oder davon, sich zufällig im Bildhintergrund einer Fotografie zu entdecken. Sich selbst bleibt man immer ein Rätsel, dachte Hastroll. Man kommt selten über einen flüchtigen Eindruck hinaus.
    Sheppard ging ins Verhörzimmer und setzte sich direkt vor Pepin.
    »Fragen Sie mich gar nicht erst«, heulte Pepin auf, »ich habe meine Frau nicht umgebracht!«

 
     
     
     
    Z ugegeben, Alice’ Diät verlief dieses Mal irgendwie anders. In der Vergangenheit hatte es der verschiedensten Hilfsmittel bedurft, von ganz gewöhnlichen Produkten bis hin zu denen, die nachts im Fernsehen beworben werden (Visa, Amex und MasterCard willkommen). David nannte das den »Quatsch-Ansatz«. Es gab Pillen und Spezialschwämmchen, Proteinshakes und magische Abnehmgürtel; der übliche Mumpitz, den er ihr allerdings bereitwillig kaufte. »Ich habe ein gutes Gefühl, David«, sagte sie. »Ich glaube, diesmal wird es klappen.« Dann reichte sie ihm die mitgekritzelte 800er-Nummer und verließ das Zimmer, um seinen Gesichtsausdruck nicht mitansehen zu müssen. Sieben bis zehn Arbeitstage später traf das Paket ein.
    Oftmals erforderten die Geräte einen Zusammenbau. Und meistens wurde David irgendwann ins Wohnzimmer gerufen, um Alice zu retten, die inmitten eines Haufens von Arretierschrauben, Bolzen, Brettern, Rädern und verpackten Metallelementen saß, die nummerierten und beschrifteten Teile (5Q, F9) um sich verstreut, als wäre sie Ground Zero. David verbrachte die folgenden Stunden mit Sortieren und Zusammenschrauben.
    Und aus dem Chaos entstand ein Apparat, eine Frankensteinsche Maschine, ein seltsam insektenhaft anmutendes Alien-Skelett, auf das Alice sich mit Händen und Hüften stützte oder an dem sie ihre Füße festband, von dem sie kopfüber hing oder in dem sie herumgewirbelt wurde. Wenn sie zu stemmen und zu stöhnen und zu strampeln anfing, drohte die Maschine, sich von einem statischen Übungsgerät in ein Transportmittel zu verwandeln, nur um zu guter Letzt auseinanderzufallen. Der Vorgang erinnerte David an alte Schwarz-Weiß-Filmaufnahmen von irrwitzigen Flugzeugen und Hubschraubern, die von Klippen, Rampen und Türmen fielen oder beim ersten Flugversuch explodierten.
    Weil Sport nicht infrage kam, richtete Alice ihre gesamte Aufmerksamkeit auf ihre Ernährung. Sie verzichtete auf Zwischenmahlzeiten und ließ prinzipiell alle Kohlehydrate und leeren Kalorien weg, woraufhin sie sich elend fühlte, aber schnell an Gewicht verlor. Aufgrund ihrer Größe nahm sie allein in den ersten zwei Wochen viereinhalb Kilo ab. Sie beschäftigte sich zwanghaft mit ihrem Essverhalten, sie war wie besessen und erstattete David regelmäßig Bericht. Den Zeitpunkt ihres Stuhlgangs konnte sie auf die Minute genau vorhersagen. Ein Blick auf die länglichen, gekringelten Ausscheidungen reichte Alice, um deren ungefähres Gewicht zu schätzen. Bei der Arbeit nahm sie die Treppe, anstatt mit dem Aufzug zu fahren, ihren Kaffee trank sie statt mit Sahne mit Sojamilch. Sie aß (nicht ohne sie vorher gründlich auf versteckte Rasierklingen abgesucht zu haben) die Äpfel, die ihre gestörten Schüler ihr aufs Pult legten. Ihre Libido versiegte, sie wollte nicht mehr berührt werden, und als
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