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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut
Autoren: Adam Ross
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stützte den Ellenbogen auf die Tischplatte und das Kinn in die Hand.
    »Und sie haben gerade erfahren, dass das Zweite ein Mädchen wird«, sagte Alice.
    »Und?«
    »Sie haben nur eine Dreizimmerwohnung.«
    »Red weiter.«
    »Und ihr Sohn will sich kein Zimmer mit seiner Schwester teilen. Aber sie können sich nichts Größeres leisten.«
    »Und?«
    »Und deswegen müssen sie aus der Stadt wegziehen.«
    David nahm seine Brille ab, legte sie vorsichtig auf den Schreibtisch, stand auf, ging zum Schlafzimmer und lehnte sich in den Türrahmen.
    »Kannst du dir das vorstellen?«, fragte Alice. Sie war ganz auf den Fernseher konzentriert; auf A&E lief Der Mann, der zu viel wusste . Sie lächelten einander wissend an, dann wandte Alice sich wieder dem Bildschirm zu. Sie hatte die zweite Packung fettarmer Ritz-Cracker fast, die zweite Flasche Wein des Abends zur Hälfte geleert. Wie Schneeflocken lagen die Krümel auf ihrer Brust und ihrem Bauch verteilt. Neben ihren Mundwinkeln ragten zwei weinrote Stoßzähne nach oben.
    David trat ans Bett und umarmte sie. Als er zudrückte, knackten die Krümel auf ihrem Nachthemd.
    »Ich bin froh, dass wir zu zweit sind«, sagte er.
    »Oh, David«, flüsterte sie und zog ihn an sich. »Manchmal weiß ich wirklich nicht, warum du mich liebst.«
    Es half nicht immer, aber zumindest oft.
    Davids Aufmerksamkeit entging nichts. Er führte eine akribisch genaue Liste seiner guten Taten, seines vorbildlichen Daseins als Ehemann. Nachdem er sie allerdings mit seiner Umarmung glücklich gemacht hatte, fragte er sich: Warum kann ich nicht immer so gut sein? Warum kann ich sie in diesem Moment nicht ganz und gar verstehen?
    Sein Buch war schuld, so viel wurde ihm klar, als er wieder am Schreibtisch saß und das Fenster öffnete. Das Buch machte ihm Sorgen, es nagte an ihm. Das ungeschriebene Buch hing ihm ständig im Nacken. Er hatte vor gut einem Jahr damit begonnen, ursprünglich hatte es sich um eine Idee zu einem Spiel gehandelt, die aber zu etwas Größerem herangewachsen war. Das Projekt war streng geheim, und er bearbeitete es wie ein Doppelagent, wann immer Alice nicht zu Hause war, wenn sie Geschirr spülte oder im Internet surfte. Er bearbeitete es im Windschatten seiner Ehe. David bewahrte das Manuskript in einem großen Karton unter seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer auf. Das Schreiben entpuppte sich als eine Reihe von stotternden Versuchen, als eine Ansammlung von rauschhaften Augenblicken, als schreckliche Sackgasse. Nun steckte er fest, und zwar so richtig, aber er weigerte sich aufzugeben. Die Struktur des Textes war komplex, zu komplex vielleicht, aber geradlinig ließ sich die Geschichte unmöglich erzählen. Immer wieder war David völlig blockiert und sah sich gezwungen, das Manuskript für längere Zeit liegen zu lassen. Manchmal ignorierte er den Text wochenlang. Oft fürchtete er, die Sache würde insgesamt keinen Sinn machen, dann fing er sich wieder und war vom Gegenteil überzeugt. Und manchmal, wenn Alice schon schlief, ging er in sein Arbeitszimmer und nahm den Ausdruck aus dem Karton, um darin zu lesen. Manches kam nur auf dem Papier zur Geltung, nicht auf dem Bildschirm. David hatte eine Theorie, der zufolge eine starke Erzählung den Leser in ihren Bann zieht und sofort mitreißt, egal, welche Seite man aufschlägt. David wählte eine zufällige Seite. Und wie sie ihn in ihren Bann zog! Und ob sie ihn mitriss! Plötzlich hatte er eine neue Idee, ihm schwebte eine neue Richtung vor, die ihn möglichweise aus der Sackgasse führen würde. Er überlegte kurz und suchte dann ein bestimmtes Kapitel heraus, um sich Anmerkungen zu machen.
    »David«, rief Alice, »was tust du da?«
    »Nichts«, sagte er und hielt inne.
    »Dann komm ins Bett.«
    Er stellte den Karton zurück unter den Schreibtisch. Er würde morgen weiterschreiben, gleich nach dem Aufstehen. Als er im Bett lag, leuchteten die Sätze in seinem Kopf wie Meteoriten.
    Aber am nächsten Morgen hatten sie ihre Strahlkraft verloren. Obwohl David nicht wusste, warum die nächtlichen Unterbrechungen einen so großen Einfluss auf seine Inspiration hatten, konnte er nicht verleugnen, dass es so war.
    Genauso wenig wusste er, warum Alice so dick geworden war. Sie hatte üppige fünfundsiebzig Kilo in die Ehe mitgebracht und war immer schon eine stattliche Frau gewesen, groß und von kräftiger Statur – selbst barfuß kam sie auf über einhundertachtzig Zentimeter. Und dann, im dreizehnten Ehejahr: hundertdreißig
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