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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut
Autoren: Adam Ross
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Kilo. David konnte sich nicht erklären, wie es zu der Gewichtsaufnahme hatte kommen können, schließlich stand Alice überhaupt nur eine sehr limitierte Auswahl an Nahrungsmitteln zur Verfügung. Sie reagierte allergisch auf alle Schalentiere, auf Shrimps, Muscheln, Austern, Schnecken. Einmal hatte sie bei einer Dinnerparty versehentlich ein Tröpfchen Muschelsauce verschluckt; die roten und weißen Quaddeln, die sofort in ihrem Gesicht aufblühten, ließen Alice’ Augen zuschwellen und verwandelten ihre Arme in eine zerklüftete Mondlandschaft. Sie atmete flach. Unter den Partygästen befand sich ein Arzt. Zufälligerweise war er selbst gegen Bienenstiche allergisch (so wie Alice) und verpasste ihr seine Adrenalinspritze (sie hatte ihre zu Hause vergessen), woraufhin die Schwellung nachließ und die Quaddeln verblassten. Cashews waren tabu, ebenso Mandeln und Macadamianüsse. Das Etikett der Peter-Pan-Erdnussbutter hätte für sie ebenso gut einen Totenschädel mit gekreuzten Knochen zeigen können. Alice nahm ihr Gift portionsweise über den Tag verteilt ein. An der Kühlschranktür hing eine Checkliste, an deren Ende sich eine kleine Umrechnungstabelle befand: ein bisschen von diesem, geteilt durch jenes, dazu einen Hauch davon. Ersetze die Pilze, ziehe die Differenz der Grapefruit ab. Die Algebra einer Allergikerin , dachte David, wenn Alice ihr Essen vor einer Mahlzeit tabellarisierte. Eine Unterdisziplin der Alchemie.
    Die Liebe zu seiner Frau war neu erwacht. Beim Essen beugte Alice sich verträumt kauend über den Teller und starrte ins Nichts, in die Leere hinter Davids linkem Brustmuskel. Alle paar Bissen strich sie sich das Haar mit einer geschickten Handbewegung hinters Ohr zurück. Ihre Gedanken schwärmten frei aus, das Essen entspannte sie und verlieh ihrem Gesicht jugendliche Züge. Plötzlich war sie wieder die junge Frau, die er geheiratet hatte. Mit ein bisschen Vorstellungskraft – Alice war jetzt fünfunddreißig Jahre alt – konnte er das Mädchen erkennen, das sie gewesen war, bevor sie sich erstmals getroffen hatten. Er ließ sie in Ruhe essen. Sie hatte großen Hunger. Wie hatte er nur davon träumen können, sie zu verlieren?
    In einer seiner Phantasien sah er ihre Beerdigung. Trauergäste umringten ihn, bedrängten ihn mit Beileidsbekundungen. Während des Gottesdienstes sprachen die Anwesenden nur Gutes über sie, auch wenn David nicht genau wusste, wer diese Redner eigentlich waren, immerhin war Alice eine ziemliche Einzelgängerin. Dann kam die Beisetzung, und der Sarg wurde in die Erde hinabgelassen. Nach der Zeremonie sah David sich benommen herumsitzen. Er konnte sich ein Leben ohne Alice nicht vorstellen. Er könnte es halten wie jener kleine Hund, Greyfriars Bobby, und auf ihrem Grab schlafen. Pepin erschauderte. Er war auf der Welt, um sie zu unterstützen. Die Liebe zu seiner Frau war neu erwacht. Und dann, eines Tages, begann Alice, tatsächlich abzunehmen.

 
     
     
     
    E gal, was wir unternehmen, dachte Detective Sheppard, immer pflegen wir zuvor unsere Rituale. Wie der Läufer, der vor dem Rennen tiefe Kniebeugen macht, oder der Schlagmann beim Baseball, der sich in den Schritt greift und erst dann das Spielfeld betritt. Alles nur Bemühungen, die Pumpe auf Touren zu bringen. Aufwärmübungen, um Verstand, Körper und Seele auf den großen Wurf vorzubereiten. Lieb gewonnene Gewohnheiten, dachte Sheppard, während er seine Pfeife stopfte. Und die Spuren, die diese Gewohnheiten hinterlassen. Der abgewetzte Teppich, der von unseren täglichen Pfaden durchs Haus erzählt. Das Zahnfleisch, das mit der Zeit von den Zähnen abgebürstet wird. Der Geschmack, den wir so oft auf der Zunge hatten, dass wir ihn nicht mehr wahrnehmen. Sheppard saß auf dem Polizeirevier und schaute einer alten Hure beim Schminken zu. Er war fasziniert davon, wie behutsam sie den Lippenstift auftrug, wie sie den Spiegel vor sich hielt wie ein Präzisionsinstrument, wie sie den Kopf vor ihrem kleinen Abbild hin und her drehte und ihr Werk begutachtete, wie sie die Puderdose schließlich zuschnappen und in ihre Handtasche fallen ließ, um der Anklage zu lauschen.
    Mord, überlegte Sheppard weiter, ist entweder ein Bruch mit den Gewohnheiten oder ihre Zuspitzung.
    Jedes neue Unterfangen, dachte Sheppard, selbst ein Verhör, wird mit den gewohnten Maßnahmen eingeleitet. Wir umkreisen, wir wiederholen. Detective Hastroll saß nun bereits vor der verspiegelten Scheibe und starrte den Verdächtigen auf
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