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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut
Autoren: Adam Ross
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sie David – zwei Monate später und zehn Kilo leichter – fragte, was er von ihrem Forschritt halte, ermunterte er sie zum Weitermachen, weil die körperliche Veränderung tatsächlich sichtbar voranschritt. Freudig zog Alice ihren Hosenbund nach vorn und stanzte neue Löcher in ihre Gürtel. Sie behauptete, sich schon viel dünner zu fühlen. Aber insgeheim blieb David skeptisch; er war überzeugt, sie würde scheitern. Alice bewahrte ihre Winterkleidung im Schrank in Kartons auf, und wie in jedem Herbst bat sie David, die Kisten von den obersten Regalen zu holen.
    »Alle?«, fragte er, als er auf der Leiter stand.
    »Selbstverständlich alle«, antwortete sie von unten. Die Kleider stammten aus schlankeren Tagen und waren hoffnungslos aus der Mode gekommen – sie recycelte ihre Garderobe –, und morgens führte Alice sie ihm vor, drehte sich auf dem gefliesten Küchenboden hin und her, während er beim Frühstück saß.
    »Ist das nicht ein lustiges Kleid?«, fragte sie, nahm das Material zwischen die Finger, zog den Rock zu einem weiten Dreieck auseinander und entfaltete den Stoff wie ein Flügelpaar. David konnte sich ein Kichern nicht ganz verkneifen, was Alice für ein Zeichen seiner Freude hielt; sie ging zu ihm, legte ihre Hand an seine Wangen, fuhr ihm durchs Haar und presste seinen Kopf an ihre Brust. »Diesmal wird es klappen«, flüsterte sie. David hob den Kopf. Sie zog ihn an sich und küsste ihn, und dann verließ sie die Küche mit hoch erhobenem Haupt und geraden Schultern.
    Wird es diesmal klappen?, fragte David sich.
    Möglich, dachte er, aber unwahrscheinlich. Es war Dezember, sie hungerte seit drei Monaten, hatte fast vierzehn Kilo abgenommen und bekam immer öfter das Gefühl, das Vorhaben sei unmöglich zu bewältigen und kein Ende in Sicht. Sie stellte ihr Durchhaltevermögen infrage. Sie würde niemals dauerhaft abnehmen. Im Laufe der letzten dreieinhalb Wochen hatte sie kaum mehr als eineinhalb Kilo verloren. Einmal – nein, zweimal – hatte sie gemogelt. (Auf dem Weg zur Arbeit war sie eingeknickt und hatte sich bei McDonald’s zwei Egg-McMuffin-Menüs bestellt. Und als David sie am Vortag in der Küche überrascht hatte, war sie erschreckt herumgefahren, das Gesicht von Puderzucker bedeckt und in jeder Hand einen Donut.)
    Sie rief David bei der Arbeit an und störte die Testläufe seines neuen Spiels, Escher X – kurz für Escher Exit . Programmierung und Konzeption waren gleichermaßen brillant. Die Spielwelten waren berühmten Escher-Drucken entliehen – Relativität , Belvedere , Treppauf und treppab , um nur einige zu nennen –, und die Herausforderung bestand darin, einen Avatar (die weiße Männergestalt aus Begegnung ) durch eine Reihe von scheinbar ausweglosen Levels und verbauten Welten zu führen, bis man den geheimen Fluchtweg gefunden hatte, jene Taste oder jene Kachel, die das Möbiusband entwirrte. Der beste Effekt (der besonders im Level Relativität ganz wunderbar zur Geltung kam) lag vielleicht in der spielerischen Reproduktion der visuellen Erfahrung, die man beim Betrachten von Eschers Bildern machte. Man stieg eine Treppe hinauf, nur um plötzlich festzustellen, dass man sich abwärtsbewegte; man betrat einen Raum, an dessen Decke jemand saß, sodass die Decke zum Fußboden wurde und der Wasserfall emporstürzte. Hinzu kamen natürlich Zweikämpfe mit den verschiedensten Escher-Monstern: der menschenköpfige Vogel aus Andere Welt II , die Alligatoren aus Reptilien , der Drache aus Drache , der fliegende Raubfisch aus Prädestination . Mit jedem siegreichen Kampf errang der Avatar neue Fähigkeiten und zusätzliche Waffen, bis er stark genug für die finale Konfrontation mit seinem Doppelgänger war – einer gebeugten, schwarzen, menschenähnlichen Figur, die über das gesamte Spielreich herrschte. Passenderweise hieß sie Möbius.
    Das Spiel war wunderschön. Aber es steckte voller Programmierfehler, die das angepeilte Veröffentlichungsdatum hatten platzen lassen, und so war David, als er ans Telefon kam, zunächst kurz angebunden. Alice klang verzweifelt.
    »David«, sagte sie, »liebst du mich?«
    »Natürlich liebe ich dich.«
    »So, wie ich bin?«
    David schloss die Augen und ließ seine Stirn an die Fensterscheibe sinken. »Wie bist du denn?«
    »Du bist lieb«, sagte Alice.
    David schwieg.
    »Ich glaube nämlich, ich schaffe es nicht«, sagte sie.
    »Du glaubst, dass du was nicht schaffst?«
    » Es . Die ätzende Diät. Was glaubst du denn, was ich
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