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Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman

Titel: Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
Autoren: Florian Tausch
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Tausende wild umeinander fahrende, lautstark hupende Zweitakter - und ein paar Autos, Lastwagen und Busse, die wie Wale in zu flachem Gewässer träge durch das Chaos gleiten.
    So saß ich am Abend meiner Ankunft als einziger Fahrgast in dem Minibus und schaute auf das Meer aus Motorrädern, das in großen Wellen durch die engen Straßen schwappte. Obwohl
ich nicht zum ersten Mal nach Vietnam kam, erschlugen mich die Eindrücke wieder. Lärm, Lichter und Farben prasselten auf mich ein, jeder Blick offenbarte ein neues, ungeahntes Detail. Hier die spinnennetzartigen Stromleitungen, die sich in dicken Würsten über der Straße spannen. Dort die Mitarbeiter einer Garküche, die das dreckige Geschirr in großen Plastikbottichen direkt am Straßenrand abwaschen. Weiter unten ein Bettler mit grotesk deformierten Beinen, der sich Kopf voraus auf einem Rollbrett liegend nur mit den Händen vorwärtszieht, während wenige Zenitmeter neben ihm Motorräder, Autos und Lastwagen vorbeirauschen. Eine Sekunde später dröhnt Technomusik aus einem Laden, in dem sich die Sprösslinge neureicher Eltern mit Importklamotten eindecken.
    Und ich war mittendrin in diesem bunten Leben - mit meinem kleinen Gepäck, meinen großen Hoffnungen und meiner ungewissen Zukunft. Ein seltsamer Gedanke, dass dies nun mein Zuhause sein sollte.
     
    Der Fahrer hielt vor einem Miederwarengeschäft, bedeutete mir auszusteigen und hievte auch schon meinen Koffer in den Laden. Was wollten wir nur dort? Musste er auf den letzten Drücker ein Geburtstagsgeschenk für seine Frau besorgen? Aber was machte dann mein Gepäck hier?
    Im Inneren des Geschäfts stand ein Wald aus Drehständern, an denen die Produkte präsentiert wurden. Mühsam quetschte ich mich an pinken BHs und Unterhosen vorbei in den hinteren Teils des Ladens, wohin der Fahrer entschwunden war. Auf halbem Weg kam er mir wieder entgegen, sagte »Bye bye« und verschwand ohne ein weiteres Wort durch die Tür nach draußen. Den Koffer hatte er nicht mehr bei sich.

    Auf der Suche nach meinem Gepäck traf ich auf eine junge Frau, die hinter einem Tresen stand und mich auf Englisch ansprach:
    »Ich bräuchte bitte Ihren Pass.«
    Gab es eine vietnamesische Version von Die versteckte Kamera ? Vorsichtig lugte ich in die oberen Ecken des Raumes, fand aber kein Objektiv auf mich gerichtet.
    »Ihren Reisepass, bitte«, versuchte sie es ein zweites Mal.
    Immer noch verwirrt, reichte ich ihr wortlos das Dokument.
    Sie schlug den Pass auf und sah sich mit ernster Mine das Bild an. Dann mich. Dann wieder das Bild. Dann noch mal mich. Schließlich übertrug sie einige Daten in ein Formular und schob mir das Papier mit der Aufforderung »Ihre Unterschrift. Rechts unten« herüber. Wurde die Einreiseprozedur jetzt in einem Wäschegeschäft fortgesetzt? Vorsichtshalber setzte ich meinen Kringel.
    »Hier entlang!« Schon verschwand sie hinter einem Plastikvorhang, der einen schmalen Durchgang verdeckte. Ich griff meinen Koffer, heftete mich ihr an die Fersen und trat in ein enges, spärlich erleuchtetes Treppenhaus. Die Frau bewegte sich mit leichtfüßiger Eleganz die Stufen hinauf, ich schwer am Gepäck schleppend hinterher. Im dritten Stock zog sie schließlich einen Schlüssel hervor, öffnete eine Tür und bat mich einzutreten.
    Ein schneller Blick. Ja, der Raum hatte alle Ausstattungsmerkmale eines einfachen Hotelzimmers: Ein Doppelbett, einen Minikühlschrank, einen kleinen Schreibtisch, ein geschmackloses Bild an der Wand, das tatsächlich zwei röhrende Hirsche vor einer Schwarzwaldkulisse zeigte.
    Die Wäscheverkäuferin griff sich die Fernbedienung der
Klimaanlage. Mit einem Piepen nahm diese ihren Dienst auf und spuckte schließlich schwerfällig rappelnd kalte Luft aus. Dann drückte mir die Frau die Schlüssel in die Hand und sagte:
    »Das Geschäft ist immer bis zehn Uhr abends geöffnet. Falls Sie erst später zurückkommen, müssen Sie einfach laut klopfen. Nachts schläft im Laden immer ein Wachmann. Der macht Ihnen dann auf.«
    Damit schwebte sie davon.
    Auf einmal war ich allein.
    Von der Straße unten drangen das Hupen und der Lärm der Mopeds zu mir hoch, der immer anschwoll, wenn die Ampel an der Straßenecke auf Grün schaltete. Dazwischen Schreie von spielenden Kindern und das singsangartige Rufen von fliegenden Verkäufern, die - meist einen kleinen Wagen vor sich her schiebend - Luftballons, Kokosnüsse oder Nudelsuppe anboten. Im Nachbarzimmer quäkte eine Seifenoper aus dem Fernseher.
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