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Miss Lonelyhearts

Miss Lonelyhearts

Titel: Miss Lonelyhearts
Autoren: Nathanael West
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seine Verwirrung für ein aufrichtiges Gefühl halten könnte. Aber der Trick verfing nicht, und sie wartete, dass er weitersprach.
    «Bitte iss mit mir zu Abend.»
    «Ich fürchte, das geht nicht.»
    Ihr Lächeln öffnete sich zu einem Lachen.
    Sie lachte über ihn. In seiner Abwehrhaltung untersuchte er ihr Lachen auf «Bitterkeit», «saure Trauben», «gebrochenes Herz», «mir doch egal». Doch zu seiner Verwirrung fand er nichts, worüber er seinerseits lachen konnte. Ihr Lachen hatte sich auf natürliche Weise geöffnet, nicht wie ein Regenschirm, und noch während er hinsah, fiel es in sich zusammen und wurde wieder zu einem Lächeln, einem Lächeln, das weder «gequält» noch «ironisch» noch «geheimnisvoll» war.
    Als sie ins Wohnzimmer gingen, wuchs seine Gereiztheit noch. Sie setzte sich mit bloßen untergeschlagenen Beinen und einem geraden Rücken auf eine Doppelbettcouch. Hinter ihr blühte in der zitronengelben Tapete ein silberner Baum. Er blieb stehen.
    «Betty der Buddha», sagte er. «Betty der Buddha. Das blasierte Lächeln hast du; dir fehlt nur noch der Schmerbauch.»
    Seine Stimme war dermaßen hasserfüllt, dass es ihn selber überraschte. Er zappelte eine Weile im Schweigen, setzte sich schließlich neben sie auf die Couch und nahm ihre Hand.
    Über zwei Monate war es her, dass er mit ihr auf ebendieser Couch gesessen und ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Sie hatte ihn angenommen, und sie hatten ihr Leben nach der Hochzeit geplant, seine Arbeit und ihre karierte Baumwollschürze, seine Hauslatschen neben dem Kamin und ihre Kochkünste. Seitdem hatte er sie gemieden. Ein schlechtes Gewissen hatte er nicht; es ärgerte ihn nur, dass er sich hatte verlocken lassen, an die Möglichkeit einer solchen Lösung zu glauben.
    Bald war er das Händchenhalten leid und begann wieder zu zappeln. Ihm fiel ein, dass er ihr gegen Ende seines letzten Besuchs die Hand in die Wäsche gesteckt hatte. Da ihm nichts Besseres einfiel, wiederholte er die Geste jetzt. Unter dem Morgenmantel war sie nackt, und er fand ihre Brust.
    Sie ließ sich nicht anmerken, ob sie von seiner Hand Notiz nahm. Ein Klaps wäre ihm willkommen gewesen, doch selbst als er ihre Brustwarze berührte, reagierte sie nicht.
    «Ich will diese Rose pflücken», sagte er und zog kräftig daran. «Ich will sie im Knopfloch tragen.»
    Betty fasste ihm an die Stirn. «Was ist los?», fragte sie. «Bist du krank?»
    Er begann sie anzuschreien und begleitete sein Geschrei mit Gesten, die viel zu genau dazu passten, wie die eines altmodischen Schauspielers.
    «Was bist du doch für ein gutmütiges Aas. Sobald sich jemand gemein benimmt, sagst du, er sei krank. Wer seine Frau quält, wer kleine Kinder vergewaltigt, der ist deiner Meinung nach krank. Keine Moral, nur Medizin. Also ich bin nicht krank. Ich brauche dein verdammtes Aspirin nicht. Ich habe einen Christus-Komplex. Die Menschheit … Ich liebe die Menschheit. All die kaputten armen Schweine … » Er schloss mit einem kurzen Lachen, das sich wie ein Bellen anhörte.
    Sie war von der Couch zu einem roten Sessel hinübergewechselt, der geschwollen war von seiner Polsterung und gespannt von seiner Federung. Im Schoß dieses Lederungetüms schwand jede Spur von einem heiteren Buddha.
    Doch sein Ärger war nicht verraucht. «Was ist los, Schatz?», fragte er ein ums andere Mal. «Was ist los? Was ist los?»
    Ihr Gesicht nahm den Ausdruck eines unerfahrenen Spielers an, der alles auf einen letzten Wurf setzt. Er wandte sich nach seinem Hut um, als sie den Mund aufmachte.
    «Ich liebe dich.»
    «Was tust du?»
    Dass sie es wiederholen musste, brachte sie durcheinander, doch es gelang ihr, jedes Drama zu vermeiden.
    «Ich liebe dich.»
    «Und ich liebe dich», sagte er. «Dich und dein verdammtes Lächeln unter Tränen.»
    «Warum lässt du mich nicht in Ruhe?» Sie hatte angefangen zu weinen. «Ich war guter Dinge, ehe du gekommen bist, und jetzt fühle ich mich lausig. Geh weg. Bitte geh.»

MISS LONELYHEARTS UND DER SAUBERE ALTE MANN
    Wieder auf der Straße, fragte sich Miss Lonelyhearts, was er als Nächstes tun sollte. Er war zu erregt zum Essen und traute sich nicht, nach Hause zu gehen. Es fühlte sich an, als wäre sein Herz eine Bombe, eine knifflige Bombe, die mit einer einfachen Explosion die Welt zerstören würde, ohne sie zu erschüttern.
    Er beschloss, auf einen Drink zu «Delehanty’s» zu gehen. In der Flüsterkneipe entdeckte er an der Bar eine Gruppe Bekannter. Sie
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