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Miss Lonelyhearts

Miss Lonelyhearts

Titel: Miss Lonelyhearts
Autoren: Nathanael West
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hören mag.
    Lonelyhearts’ «Christus-Komplex» kostet ihn selber das Leben und stürzt die Opfer seines erzwungenen Mitleids, das Ehepaar Doyle, noch tiefer in ihr Elend. Trotzdem hat Lonelyhearts natürlich Recht, wenn er das Elend der Mitmenschen in seinem ganzen Gewicht wahrnimmt und ihm abhelfen will – mehr recht als Betty, die nur darum so ausgeglichen, heiter und damit für ihn unausstehlich ist, weil sie die schlimme Wahrheit konsequent ausblendet. Sie blendet das Böse aus, auf das er fixiert ist, während er ausblendet, was mit ihm wirklich geschieht. Das ist die List dieses Romans: Er verlockt den Leser, Lonelyhearts’ Problem zu billigen, ihn zu verstehen und ihm recht zu geben, zwingt ihn dann aber, ihm die Gefolgschaft aufzukündigen und zu erkennen, dass sein Ausweg ein fataler Irrtum ist. Der Roman will sozusagen mit dem Strich und zugleich gegen ihn gelesen werden.
    Besonders klar hat diese Doppelspurigkeit Kingsley Widmer 1982 in seinem Buch über West formuliert: «Lonelyhearts wird von West eindeutig als jemand dargestellt, der sich ernste Gedanken um das ernste moralische Dilemma macht, wie man tröstend auf schwerlich behebbares menschliches Leid eingehen könnte … Wir sollen den jungen Mann als jemanden sehen, der ehrlich nach einer religiösen Antwort auf menschliche Seelenqual und die allgegenwärtige moderne Ratlosigkeit sucht. Doch der Leser wird ebenfalls sorgfältig, ja geradezu schadenfroh mit den Einzelheiten einer sexuellen Verirrung bekannt gemacht, mit einer von langer Hand eingetrichterten frommen Hysterie und einem selbstmörderischen, ins Religiöse umgedeuteten vollständigen Realitätsverlust. Der Protagonist und die Fragen, mit denen er es zu tun hat, müssen gleichzeitig als profund im moralischen und als pathologisch im medizinischen Sinn gesehen werden. So manches Missverständnis rührt daher, dass der Leser den sorgfältigen und gründlichen Doppelcharakter von Wests Weltsicht und Kunst nicht wahrnimmt. Wir müssen Lonelyhearts als beides sehen, als krank und als heiligmäßig. Für Wests sardonisches nicht christliches Auge kann Lonelyhearts und viel von seiner Religion nur sowohl ernst als auch grotesk wirken, untrennbar, eine fromme Krankheit … Anstatt eine Antwort auf Elend, Verzweiflung, unverdientes Leid, Selbstmord zu sein, erschafft die Religion diese oft erst. Wie Miss Lonelyhearts ‹wiedergeboren› zu werden, heißt im Wortsinn, tot für die Wahrheit zu sein. Es vernichtet ihn selber, verletzt andere, beantwortet nichts … Besser bliebe das menschliche Herz einsam in seinem unannehmbaren Universum. Das ist hinter aller Maskerade die Botschaft von Miss Lonelyhearts .»
    Schon für Miss Lonelyhearts gilt, was West die Hauptfigur seines letzten Romans, Der Tag der Heuschrecke , über die erbitterten enttäuschten Träumer von Hollywood sagen lassen wird: Er wolle diese Menschen nicht satirisch karikieren, sie aber auch nicht bemitleiden. «Er würde ihre Wut mit Respekt malen, in Kenntnis ihrer schrecklichen, anarchischen Macht.» Kein Spott, kein Mitleid, kein Trost, keine Illusionen.
    Dieter E. Zimmer

Editorische Notiz
    Im Zuge der Neuedition von Nathanael Wests Hauptwerken ist Miss Lonelyhearts unter Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse und auf Basis langjähriger Beschäftigung mit dem Autor von Dieter E. Zimmer übersetzt und kommentiert worden. Es handelt sich hier um die erste Übersetzung ins Deutsche seit 1961 .
    1933 verfasst, lässt sich die Romanhandlung ziemlich exakt auf den Winter und das Frühjahr 1931 datieren. Diesen Rückschluss lässt ein in Kapitel 3 zitierter aktueller Zeitungsartikel zu, in dem über die Exekution eines gewissen William Moya berichtet wird. Der Gefangene ist nachweislich am 12 . Dezember 1930 gehenkt worden.

Titel der amerikanischen Ausgabe:
    «Miss Lonelyhearts» ( 1933 )
    Copyright © 2012 by Manesse Verlag, Zürich
    in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
    ISBN 978 - 3 - 6 41 - 10102 - 2
    www.manesse.ch
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