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Miss Lonelyhearts

Miss Lonelyhearts

Titel: Miss Lonelyhearts
Autoren: Nathanael West
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neues Leben und seine künftige Rolle als Miss Lonelyhearts zu entwerfen. Er unterbreitete Gott Rohfassungen seiner Zeitungskolumne, und Gott fand, dass sie gut war. Gott hieß jeden seiner Gedanken gut.
    Plötzlich läutete es an der Tür. Er kletterte aus dem Bett und ging hinaus auf den Treppenflur, um nachzusehen, wer da zu ihm kam. Es war Doyle, der Krüppel, und langsam quälte er sich die Treppe herauf.
    Gott hatte ihn gesandt, auf dass Miss Lonelyhearts ein Wunder tun und seiner Bekehrung gewiss sein konnte. Es war ein Zeichen. Er würde den Krüppel umarmen, und der Krüppel würde geheilt sein, genau wie er selber, der Krüppel im Geist, geheilt worden war.
    Er eilte die Treppe hinunter, Doyle entgegen, die Arme für das Wunder ausgebreitet.
    Doyle hatte etwas in der Hand, das in eine Zeitung eingeschlagen war. Als er Miss Lonelyhearts sah, steckte er die Hand in das Päckchen und blieb stehen. Er stieß etwas Ähnliches wie einen Warnruf aus, doch Miss Lonelyhearts stürmte voran. Er verstand den Ruf des Krüppels nicht; ihm klang er wie ein Hilferuf von VERZWEIFELT , HAROLD S ., KATHOLISCHE MUTTER , GEBROCHENES HERZ , BREITE SCHULTERN , SCHNAUZE VOLL , ENTTÄUSCHT VON TUBERKULÖSEM EHEMANN. Er eilte, ihnen mit seiner Liebe zu Hilfe zu kommen.
    Der Krüppel wandte sich zur Flucht, doch er war zu langsam, und Miss Lonelyhearts holte ihn ein.
    Während sie miteinander rangen, kam Betty zur Haustür herein. Sie rief, sie sollten aufhören, und lief die Treppe hinauf. Der Krüppel sah, dass sie ihm den Fluchtweg abschnitt, und suchte sich des Päckchens zu entledigen. Er zog die Hand heraus. Die Waffe im Päckchen ging los, und Miss Lonelyhearts stürzte und riss den Krüppel mit. Beide rollten sie ein Stück die Treppe hinunter.

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Nachwort
    «West hat eine neue Erzählweise, er hat ein Medium erfunden, das ihm den vollen Ausdruck seiner Empfindungen in einer Sprache erlaubt, die ein Journalist als die seine wiedererkennen würde. Es drückt das reale, unglaublich tote Leben der Menschen und die unglaublich tote Atmosphäre des Buches selbst aus, und – mein Gott! – wir verstehen, zu was für Schurken wir in diesem Jahrhundert geworden sind.»
    William Carlos Williams, A New American Writer, 193 8
    An einem Wintertag des Jahres 1929 traf sich Nathan Weinstein, der sich seit einiger Zeit Nathanael West nannte, wieder einmal mit zwei ehemaligen Studienfreunden in Greenwich Village, in «Siegel’s Deli» an der Sixth Avenue. Alle drei waren Mitte zwanzig. Er war der Sohn eines Bauunternehmers jüdisch-litauischer Provenienz, der es im New Yorker Bauboom um die Jahrhundertwende zu einigem inzwischen wieder zerronnenen Wohlstand gebracht hatte. Nathan hatte sich durch die Oberschule und die vornehme Brown-Universität gemogelt, dann in der Baufirma seines Vaters gearbeitet und versah im Augenblick eine nächtliche Stelle als Direktionsassistent im Kenmore Hall, einem zwei Jahre zuvor erbauten, Verwandten gehörenden 600 -Zimmer-Hotel (einem Club-, das heißt Residenzhotel) zwei Blocks vom Madison Square entfernt, das noch ein halbes Jahrhundert vor sich hatte, ehe es wegen Verwahrlosung geschlossen werden musste. Es war kein uninteressanter Job, der dem jungen Mann viel Gelegenheit zur Menschenbeobachtung und zum Lesen bot. Vor allem aber sicherte er ihm 35 Dollar die Woche. Das war wenig, aber in der beginnenden Depression war es immerhin ein regelmäßiges Einkommen, das ihn unabhängig machte. Denn seit seinen Universitätsjahren träumte er von der Unabhängigkeit, um selber zu schreiben oder zu zeichnen, und verkehrte am liebsten mit Literaten – Erskine Caldwell, Dashiel Hammet, S. J. Perelman, Edmund Wilson ließ er in den beiden New Yorker Hotels, die er leitete, zeitweise umsonst wohnen.
    Die beiden Studienfreunde, mit denen er sich an jenem Tag im «Siegel’s» traf, waren drauf und dran, den Sprung in eine Autorenexistenz zu schaffen. Der eine war der Humorist S. J. Perelman ( 1904 – 1979 ), Wests späterer Schwager und zeitlebens ein guter Freund, der bereits für ein Magazin zeichnete und schrieb, auch wenn seine große Zeit beim New Yorker erst noch kommen sollte. Der andere war der spätere Sportreporter und Kriegsberichterstatter Quentin Reynolds ( 1902 – 1965 ). Er arbeitete gerade beim Brooklyn Eagle , einer der größten Boulevardzeitungen der USA , und dort hatte man ihm eine in der Redaktion höchst unbeliebte Pflicht aufs Auge gedrückt, die schlecht zu dem
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