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Miss Lonelyhearts

Miss Lonelyhearts

Titel: Miss Lonelyhearts
Autoren: Nathanael West
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ein Liebhaber Gottes.»
    Sie quittierte die Vorstellung mit einem männlichen Handschlag.
    «Miss Farkis», sagte Shrike, «Miss Farkis arbeitet in einer Buchhandlung und schreibt nebenher.» Er tätschelte ihr Hinterteil.
    «Worüber habt ihr euch denn gerade so angeregt unterhalten?», fragte sie.
    «Religion.»
    «Bestell mir einen Drink und redet dann bitte weiter. Ich interessiere mich sehr für die neue thomistische Synthese 13 .»
    Das war genau die Bemerkung, auf die Shrike wartete. «Der heilige Thomas!», rief er. «Wofür halten Sie uns denn – miese Intellektuelle? Wir sind keine Pseudoeuropäer. Wir haben über Christus gesprochen, die Miss Lonelyhearts der Misses Lonelyhearts. Amerika hat seine eigenen Religionen. Wenn Sie eine Synthese brauchen, dann ist hier der Stoff dafür.» Er entnahm seiner Brieftasche einen Zeitungsausschnitt und knallte ihn auf den Tresen.
    ADDIERMASCHINE BEI RITUAL VON SEKTE IM WESTEN … Zahlengebete für verurteilten Mörder eines betagten Einsiedlers … DENVER, COLO ., 2 . Feb. (A. P.) Frank H. Rice, Oberpontifex der Liberalen Kirche Amerikas, hat angekündigt, dass er sein geplantes «Ziege-und-Addiermaschinen-Ritual» für den verurteilten Totschläger William Moya trotz der Einwände eines Kardinals der Sekte durchführen wird. Rice erklärte, die Ziege werde als Teil eines «Sack-und-Asche»-Gottesdienstes kurz vor und nach Moyas Hinrichtung gebraucht, die in der Woche des 20 . Juni angesetzt ist. Gebete für die Seele des Verurteilten werden auf einer Addiermaschine ausgerichtet. Wie er erklärte, stellen Zahlen die einzige universale Sprache dar. Moya hat Joseph Zemp, einen betagten Einsiedler, bei einem Streit über einen kleinen Geldbetrag umgebracht. 14
    Miss Farkis lachte, und Shrike hob die Faust, als wollte er sie schlagen. Sein Verhalten erschreckte den Barkeeper, der sie hastig bat, ins Hinterzimmer zu gehen.
    Miss Lonelyhearts wollte nicht mitkommen, aber Shrike bestand darauf, und er war zu müde, sich mit ihm zu streiten.
    Sie nahmen an einem Tisch in einem der Separees Platz. Shrike hob wieder die Faust, aber als Miss Farkis zurückwich, verwandelte er die Geste in eine Liebkosung. Der Trick funktionierte. Sie gab seiner Hand nach, bis er zu frech wurde, und stieß ihn dann weg.
    Shrike fing aufs Neue an zu schreien, und diesmal begriff Miss Lonelyhearts, dass er seine Worte als Verführung meinte.
    «Ich bin ein großer Heiliger», rief Shrike, «ich kann über mein eigenes Wasser gehen. Haben Sie nie von Shrikes Passion in der Imbissstube gehört oder, der Agonie in der Soda Fountain 15 ? Damals verglich ich die Wunden im Leib Christi mit den Öffnungen einer Wundergeldtasche, in die wir das Kleingeld unserer Sünden stecken. Das ist doch wirklich eine tolle Idee. Aber jetzt wollen wir unsere eigenen Körperöffnungen in Betracht ziehen und wohin diese angeborenen Wunden führen. Unter der Haut des Menschen steckt ein wundersamer Dschungel, wo Adern wie üppige tropische Gewächse an überreifen Organen herunterhängen und unkrautartige Gedärme sich in einem wuchernden Geschling aus Rot und Gelb kräuseln. In diesem Dschungel lebt ein Vogel, der Seele heißt, flitzt von den felsgrauen Lungen zu den goldenen Eingeweiden, von der Leber zum Augenlicht und wieder zurück zur Leber. Der Katholik jagt diesen Vogel mit Brot und Wein, der Hebräer mit einer goldener Regel, der Protestant auf bleiernen Füßen mit bleiernen Worten, der Buddhist mit Gebärden, der Neger mit Blut. Ich spucke auf sie alle. Pfui! Und ich rufe euch auf, spuckt. Pfui! Stopft ihr Vögel aus? Nein, meine Teuren, Taxidermie 16 ist nicht Religion. Nein! Tausendmal nein. Besser, so sage ich euch, ein lebendiger Vogel im Dschungel des Körpers als zwei ausgestopfte Vögel auf dem Lesetisch der Bibliothek.»
    Seine Liebkosungen hielten mit der Predigt Schritt. Als er fertig war, grub er sein dreieckiges Gesicht wie das Blatt eines Beils in ihr Genick.

MISS LONELYHEARTS UND DAS LAMM
    Miss Lonelyhearts nahm ein Taxi nach Hause. Er lebte allein, in einem Zimmer, das so voller Schatten war wie ein alter Stahlstich. Es hatte ein Bett, einen Tisch und zwei Stühle. Die Wände waren leer bis auf einen Christus aus Elfenbein, der dem Fußende des Bettes gegenüber hing.
    Er zog sich auf der Stelle aus und nahm eine Zigarette und ein Exemplar der «Brüder Karamasow » mit ins Bett. Das Lesezeichen steckte in einem Kapitel, das Vater Sossima gewidmet war.
    Liebet den Menschen auch in seiner
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