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Mirad 03 - Das Wasser von Silmao

Titel: Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
Autoren: Ralf Isau
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nirgends ließen sich scharfe Kanten und selten rechte Winkel ausmachen. Die meisten Bauwerke besaßen Kuppeln, einige der Dächer schmeichelten dem Auge aber auch mit sanft geschwungenen Firsten. Es gab runde Fenster und Türen mit Spitzbögen. Die Fassaden zierten aufgesetzte Ornamente, deren Verschlungenheit an die Luftwurzeln eines Bodhibaumes erinnerte und die trotzdem so ausgewogen und harmonisch wie Schneekristalle waren.
    Zwischen den Mauern, die den oberen Teil der Klippe wie eine doppelte gezackte Krone umgaben, zählte Ergil gut zwei Dutzend Gebäude unterschiedlicher Größe. Die kleineren ähnelten runden oder vieleckigen Zelten. Ein sehr viel größeres ließ ihn hingegen an den schlanken, sich zu den Enden hin verjüngenden Rumpf einer Galeere denken. Am auffälligsten war jedoch eine monumentale, von einer Kuppel überragte Rotunde und natürlich der Schwindel erregend hohe Knochenturm. Gerade diesen sah Ergil nun mit anderen Augen.
    Von Múria wusste er, dass die Sirilim sich in den Grünen Gürtel zurückgezogen hatten, nachdem die Menschen im Herzland immer zahlreicher geworden waren und mit ihrem Anspruch auf neuen Lebensraum den uralten Frieden bedrohten. Zwar hätten sich die Schönen durchaus zu verteidigen gewusst, aber jedes Blutvergießen war ihnen zuwider. So verschwanden sie allmählich aus den von Menschen besiedelten Landstrichen. Auch ihr Außenposten auf der Insel Soodland wurde aufgegeben.
    Doch je länger Ergil jetzt den Palast seiner Ahnen bewunderte, desto stärker wurde in ihm die Überzeugung, dass dieser nicht für immer in der Zwischenwelt hatte verborgen bleiben sollen. Die Schicksale von Menschen und Sirilim waren untrennbar miteinander verbunden und die Erbauer des Knochenpalastes mussten das auch gewusst haben, weil die ältesten diesbezüglichen Weissagungen schon damals existiert hatten. Sie stammten aus der Zeit, als die beiden Geschlechter aus einem Geschwisterpaar hervorgegangen waren. Damals hatte ein Seher des Allmächtigen vorausgesagt, die zwei Völker würden in ferner Zukunft wieder zueinander finden. Offenbar, so vermutete Ergil, sollte an diesem fernen Tag auch der elfenbeinerne Palast der Sirilim wieder ins Hier und Jetzt zurückkehren. Wenn das stimmte, dann war der Knochenturm also nichts anderes als ein Signalmast, den die Sirilim für ihn, ihren ungeborenen Nachfahren, stehen gelassen hatten, damit er die Zeichen richtig deuten und das Verlorene wiederbringen konnte.
    Die Vorstellung ließ Ergil einen Moment schwindeln und er musste sich zwingen, den eigentlichen Zweck seines Hierseins im Auge zu behalten. Er war nicht gekommen, um den Palast an seinen angestammten Platz zu holen, sondern um den Zufluchtsort seiner Mutter finden. Der erste Teil der Aufgabe war geschafft. Obwohl die Zwischenwelt sich in Raum und Zeit über den gesamten Faltenwurf des Universums erstreckte, hatte er das Versteck der Sirilim entdeckt. Jetzt musste er sich gleichsam daran festhalten, während er wieder in die Gegenwart zurückkam.
    Glücklicherweise war er auch bei der Suche nach seiner Mutter nicht ganz auf sich allein gestellt. Ob Gegenstand oder Lebewesen, was einmal zueinander gehörte, das blieb im Gewebe des Universums mit unsichtbaren Fäden auch weiterhin verbunden. Deren Verlauf zu folgen, war eine Gabe, die nur wenige Geschöpfe besaßen. Abgesehen von Botenfalken zählten auch die Sirilim dazu. Ergil trug immer noch Vanias Satimkette um den Hals, die ihm sein Ziehvater Falgon einst im Großen Alten gegeben hatte. Seit jenem Tag hatte er das Gesicht seiner Mutter im Traum nicht länger von Nebelschwaden verhüllt, sondern ganz deutlich gesehen. Konnte es einen besseren Beweis dafür geben, dass er und Twikus schon damals unbewusst dem »Faden« gefolgt waren, der sich immer noch von dem Schmuckstück bis zu seiner ursprünglichen Besitzerin zog?
    Das Zurückgleiten in die Gegenwart kam dem Absetzen eines schweren Gewichts gleich. Lediglich in den drei Dimensionen des Raumes zu suchen, sollte weniger kräftezehrend sein, machte sich Ergil Mut. Trotzdem nahm seine Anspannung zu. Wenn die Gefühle ihn nicht narrten und seine Mutter während des Falls der Sooderburg tatsächlich in den Knochenpalast geflohen war, dann konnte sie nicht mehr weit sein.
    Der König ließ seinen Geist im Sturzflug auf den großen Kuppelbau niederfahren. Er durchstieß das gewölbte Dach, als wäre es nur eine Wolke. Das Innere der Rotunde war ein gigantischer Saal mit einem Durchmesser von
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