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Mirad 03 - Das Wasser von Silmao

Titel: Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
Autoren: Ralf Isau
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die schiffsgleiche Schönheit der Sirilim ragten an derselben Stelle auf.
    »Dann hat Mutter sich vielleicht gar nicht vom Fleck bewegt«, fügte Ergil hinzu, womit er die vier bekannteren Dimensionen des Universums – Höhe, Breite, Tiefe und Zeit – meinte. Mit einem Mal erschien ihm das große Rätsel um den Verbleib der Königin von Soodland gar nicht mehr so rätselhaft. Wikanders Gift dürfte sie geschwächt haben. Der kürzeste Weg, um sich vor seinem Zugriff zu retten, wäre für sie auch der leichteste gewesen. Sie musste lediglich durch eine Masche des großen Faltenwurfs in die Zwischenwelt hinüberschlüpfen, die ihre Vorväter als Refugium für den Knochenpalast gewählt hatten. Vielleicht war sie sogar schon früher einmal dort gewesen.
    Zur Zeit ihrer Krönung hatten Ergil und Twikus den steinernen Irrgarten ihres Oheims einreißen und den Palast so wiederherstellen wollen, wie er in ihren Kindertagen gewesen war. Lange hatten sie sich in das Studium der alten Baupläne vertieft. Die ursprünglichen Gemächer von Torlund und Vania waren unweit der Zimmerflucht gewesen, die später Wikander für sich in Anspruch nahm. Ja, das Bett der Königin dürfte sogar ziemlich genau an derselben Stelle gestanden haben wie dasjenige Ergils.
    Er versuchte sich zu orientieren, was in dem wuchernden Grün gar nicht so leicht war. Würde man das Langhaus gegen den Soodlandpalast austauschen, dann lägen die Gemächer seiner Eltern in einem tieferen Stockwerk. Also ließ er seinen suchenden Geist durch den Waldboden sinken und gelangte in einen anderen Park, der sichtlich gepflegter als jener im Obergeschoss wirkte. Ergil sah eine von Bäumen umstandene Wiese mit einigen runden Gebäuden darauf. Ein kleiner Bach schlängelte sich durch das Grün und bildete in der Mitte einen Teich. Vom Ufer führte eine geschwungene Brücke zu einer Insel, auf der ein silberner Pavillon stand. Er spiegelte sich, Kopf stehend zwar, ansonsten aber makellos, in dem Weiher. Dessen Oberfläche war, ebenso wie die des Wasserlaufs, völlig unbewegt.
    Ergil schwebte zu dem Gebäude auf der Insel und ließ sich zu dem Dach hinabsinken, dessen flache Kegelform ihn an einen susanischen Hut erinnerte. Der ganze Pavillon bestand aus einem kunstvollen Gitterwerk, das wie pures Satim glänzte. Zahlreiche Zwischenräume in den geschmiedeten Sirilimornamenten gestatteten Ergil den Blick ins Innere. Er gewahrte einen runden Diwan und auf diesem lag eine weibliche Gestalt.
    Ergils Herz begann heftig zu schlagen. Hatte er sie gefunden? Einen Moment lang wagte er nicht, sich dem reglosen Körper zu nähern. Würde er überhaupt die Stärke haben, sich der Wahrheit zu stellen?
    Zum Umkehren war es zu spät. Er musste sich Klarheit verschaffen. Langsam ließ er seinen Sinn durch das Gitterwerk sickern. Sobald es seinen Blick nicht mehr behinderte, fielen alle Zweifel von ihm ab.
    Es war seine Mutter!
    Die Königin von Soodland trug dasselbe duftige, knöchellange, vorne weit ausgeschnittene Kleid, das er im Kratersee des Kitoras gesehen hatte. Der silbrige Stoff, der ihren schlanken Körper sanft umschmeichelte, glitzerte, als wäre Sternenlicht in ihn eingewoben. Ihre blonden Locken waren wie ein Sonnenrad auf dem fliederfarbenen Kopfkissen ausgebreitet. Ergil spürte, als seien straffe Fäden zwischen seinem Geist und dem Rest seines Ichs gespannt, wie er am ganzen Leib zitterte, während er ihr blasses Antlitz auf sich wirken ließ. Es war unfassbar schön. Aber nicht das ließ ihn erbeben – schon unzählige Male hatte er diese Züge im Traum gesehen –, sondern die geöffneten grasgrünen Augen, die ihn direkt anzublicken schienen. Bange fragte er sich, ob es die Augen einer Toten waren.
    Dabei wurde ihm bewusst, dass sie nicht atmete. Der Schreck dieser Entdeckung schüttelte seine Gedanken wild durcheinander, als wäre sein Kopf ein Knobelbecher. Und er fürchtete sich vor dem, was ihm die Würfel zeigen würden. Trotzdem zwang er sich zur Ruhe. Er entsann sich der Starre, in die er nach dem Gapabiss im Hain der Pyramiden gefallen war, weil Múria ihm einen lähmenden Heiltrunk eingeflößt hatte. Aber seine Lungen waren davon nicht beeinträchtigt gewesen. Bei Vania hingegen… Ergils Zittern nahm zu. Wäre sie nur auf ähnliche Weise ruhig gestellt oder schliefe sie mit offenen Augen, dann müsste sich ihre Brust trotzdem heben und senken. Aber nichts an ihr bewegte sich. Auch die auffällige Art und Weise, wie sie auf dem runden Bett lag, ließ
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