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Mirad 03 - Das Wasser von Silmao

Titel: Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
Autoren: Ralf Isau
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gut dreihundert Fuß und einem Säulengang an der Außenseite. Reihum drang ein betörendes Licht durch die bunten Glasfüllungen der hohen schmalen Fenster. Das Kuppelgewölbe war mit prachtvollen Gemälden verziert, Darstellungen der Sirilim in einem grünen Pflanzenreich, auf Schiffen zu hoher See und bei der Inbesitznahme einer neuen Heimat. Verschlungene Ornamente schmückten sowohl die Wände bis hinauf zum Gebälk und auch den Fußboden. Dieser bestand aus vielfarbigen, glatt polierten Steinen. Auf einer weißen Alabasterscheibe im Zentrum schimmerte ein riesiges silbernes Ginkgoblatt.
    Unwillkürlich musste Ergil an den roten Marmorboden im Thronsaal der Sooderburg denken, wo bis vor kurzem Wikanders schwarzer Granitdrache eingelassen war. Jetzt befand sich dort eine verblüffend ähnliche Scheibe – nur fehlte das Ginkgoemblem.
    Der wandernde Sinn des Königs setzte sich wieder in Bewegung. Die Rotunde mochte den Sirilim als ein Versammlungs- und Festsaal gedient haben, aber als Zufluchtsstätte für seine Mutter war sie gewiss zu groß. Er entsann sich wieder des auffälligen Gebäudes mit dem Grundriss eines Schiffsrumpfes. Ob sie dort Zuflucht gesucht hatte? Wenn er nur klar erkennen könnte, wohin ihn der unsichtbare »Faden« führte! Sein Gefühl sagte ihm, dass er dem ungewöhnlichen Langhaus einen Besuch abstatten sollte.
    So durchstieß er die Mauer der Rotunde und schwebte wieder hinaus. Er folgte einem überdachten Wandelgang, der vom Rundbau zu dem Langhaus führte und genau dort endete, wo die bauchigen Mauern sich am weitesten nach außen wölbten. Ergil glitt durch das geschwungene Spitzdach ins Innere der »Galeere«.
    Wie vermutet hatte er das Herz des Palastes gefunden. Dieses Wortbild beschreibt nur unzureichend, was Ergil sah. Er kannte das seltsame Labyrinth Wikanders, das noble, aber zweckmäßige Domizil des Herzogs von Bolk, den schwülstigen Prunk, in dem König Hilko die Geschicke des Stromlandes lenkte, die märchenhaften Anlagen des susanischen Mazars und die exotischen Zelt- und Kuppelbauten von Ostrich. Während man in der Architektur von Silmao und Ostgard noch gleichsam das Echo der Sirilim wahrnehmen konnte, hatten die weiter westlich gelegenen Länder sich schon unendlich weit von der Anmut der Formen entfernt, die Ergil hier in immer neuen Details wieder und wieder überraschte.
    Das von außen wie ein schlankes Langschiff anmutende Gebäude erwies sich von innen als mehrstöckiges Gartenhaus. Ohne das Auge des Durchdringers konnte man in den hohen Geschossen nirgendwo die Decke sehen, weil überall wuchernde Pflanzen die Sicht nach oben behinderten. Trotzdem fiel genügend Licht durch die Blätter hindurch, um alles in ein mildes Grün zu tauchen. Auch der Boden war keinesfalls eben, sondern bot sanft ansteigende Hügel, kleine Weiher, Wiesen und steile Felswände. In diese überdachte Parklandschaft waren, wie zufällig fallen gelassene Glasperlen, bunte Pavillons unterschiedlicher Größe eingestreut.
    Wenn es dem zauberhaften Palast an etwas mangelte, dann waren es Ordnung und Übersichtlichkeit. Zweifellos konnte man an diesem Ort leicht vergessen, dass er nicht unter freiem Himmel lag, denn schon nach kurzer Zeit stellte sich bei Ergil ein Gefühl der Weite ein, die den Verstand vor ein Rätsel stellte, weil die empfundenen Dimensionen des Ganzen das zwar großzügige, aber doch begrenzte Maß des Gebäudes zu sprengen schienen. Während er seinen Geist unschlüssig durch die Vegetation schweifen ließ, wunderte er sich über die Stille. Nirgendwo bewegte sich ein Blatt. Zwar entdeckte er einige Insekten, aber auch diese wirkten wie erstarrt. War der Park etwa nur eine Illusion?
    Gerne wäre er dem Geheimnis dieses Ortes auf den Grund gegangen, aber er hatte Wichtigeres zu erledigen. Erneut tastete er mit seinen Sirilimsinnen nach dem Ursprung jener hauchzarten unsichtbaren Verbindung, die bis zu der Satimkette an seinem Hals reichte. Unvermittelt durchblitzte eine Erinnerung sein Bewusstsein. Er sah die Bilder zweier Träume, die ihn hoch über die Insel Soodland geführt hatten. Zuerst schaute er zum Knochenpalast hinab und gleich darauf erschien die Sooderburg.
    »Sie stehen am selben Ort«, flüsterte er, ohne zu wissen, ob die Worte tatsächlich über seine Lippen gekommen oder nur in seinem Geist erklungen waren. Die Bemerkung galt nicht etwa dem Palast als Ganzes, sondern nur dem Haupthaus. Sowohl der ungeschlachte Bau, der Wikanders Labyrinth barg, als auch
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