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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman
Autoren: Stollfuß
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ab«, erklärte sie uns und ging.
    Die komische Zigarettenschachtel, auf der der Name unseres Freundes stand, irritierte uns noch mehr. Genauso hatte ich mir eine Klapsmühle immer vorgestellt! Wir klopften an die Tür und traten ein. Unser Freund Katzman sah erholt aus, er errötete vor Freude, als er uns erblickte. Außer ihm saß noch ein anderer Patient im Zimmer 618 auf dem Bett. Er spielte Schach mit sich selbst. Katzman umarmte und küsste uns.
    »Habt ihr die Zigaretten?«
    »Ja«, sagten wir, »die italienische Krankenschwester hat uns ihre geschenkt.«
    »Sie hat euch meine Zigaretten geschenkt«, korrigierte uns Katzman. »Meine Zigaretten, die ich so vermisse.«
    Wir verstanden ihn nicht.
    »Mussolini rückt die Zigaretten nur dann heraus, wenn jemand zu Besuch kommt«, erklärte er. »Eigentlich hat sie aber Recht: Die Mongoloiden hier sind alles Kettenraucher. Wenn man auf die nicht scharf aufpasst, verwandeln sie diese letzte Festung der sowjetischen Psychiatrie in eine einzige Rauchwolke. Die Fenster gehen hier nicht auf, und die Lüftung funktioniert nicht«, beschwerte sich Katzman.
    »Diese Frau, Mussolini, hat mit uns die ganze Zeit Italienisch gequatscht. Hat sie etwa auch einen Gehirnschaden?«, fragte ich ihn.
    »Vergiss sie. Die arme Frau bildet sich ein, sie wäre Italienerin, nur weil in ihrem Pass unter Nationalität »Italienisch« steht. Ihr Vater war Auslandskorrespondent der
L'Unita
in Moskau. Er hat bestimmt ein Dutzend Kinder hinterlassen, bevor er zurückging, wie das bei Italienern so üblich ist. Klara hat sich jetzt in den Kopf gesetzt, dass sie nach Italien muss, zurück zu ihren Wurzeln, und dafür lernt sie dauernd Italienisch.« Katzman streckte die Hände zum Himmel und schüttelte weise sein Haupt: »Alles Verrückte hier. Jeder hat mindestens eine Macke. Es gibt nur zwei normale Menschen in diesem ganzen Komplex, mich und Kolja, den Dichter.« Katzman zeigte auf den einsamen Schachspieler, der auf dem Bett neben uns saß. »Das geht mich hier aber alles nichts mehr an, in fünf Tagen bin ich draußen.«
    »Draußen oder drin, alles hat kein Sinn«, echote Kolja, spielte aber weiter Schach.
    Katzman verließ mit uns das Zimmer, um eine zu rauchen. Im Korridor war keine Menschenseele zu sehen, es herrschte absolute Stille. Im Aufenthaltsraum saßen fünf Mongoloide vor dem Fernseher. Sie zündeten ein Streichholz nach dem anderen an und warfen sie brennend dem Moderator des Nachrichtenprogramms ins Gesicht. Der reagierte aber nicht und redete freundlich weiter. Katzman bat uns, seine Mutter zu beruhigen. Ihm würden hier keine giftigen Medikamente verabreicht, die sein Urteilsvermögen trüben könnten. Und der Sängerin Patrizia Kaas weiter hinterherzulaufen, darin sähe er auch keinen Sinn mehr. Das fände er inzwischen kindisch. Er habe stattdessen jetzt einen neuen Plan. Er wolle Patrizia dort überraschen, wo sie ihn am wenigsten erwarte – und zwar in Paris.
    »Ich fahre bald nach Kopenhagen«, erzählte Mammut, »ich habe ein dänisches Mädchen kennen gelernt, sie ist übrigens noch schöner als deine Patrizia. Sie hat zwar keine Haare auf dem Kopf, das ist aber jetzt gerade Mode.«
    Katzman reagierte auf Mammuts Provokation überhaupt nicht. »Ich kann es nicht erwarten, hier rauszukommen«, erklärte er noch einmal und nahm einen kräftigen Zug aus seiner Zigarette. »Die Klapse ist widerlich. Man kann keine Musik hier hören, alle Steckdosen sind unter Verschluss. Den Arzt habe ich nur einmal gesehen. Er kam am ersten Tag zu uns aufs Zimmer, um mich und den Dichter zu quälen. Immer mit denselben blöden Fragen: ‘Stellen Sie sich vor, Sie reiten auf einem Pferd über eine grüne Wiese. Die Sonne scheint, der Himmel ist klar. Plötzlich fallen Sie vom Pferd. Was empfinden Sie dabei?’ Ich habe dem Doktor immer mit einer Gegenfrage geantwortet: ‘Waren Sie schon mal unten in der Kantine essen? Stellen Sie sich vor: Auf Ihrem Teller liegt eine Fischbulette, blutig wie ein Steak. Ich dachte zuerst, es sei mein Blut, weil ich nicht wusste, dass Fische so stark bluten können. Da kann man leicht durchdrehen, wenn man so etwas zu sehen bekommt.’ Dieser komische Arzt nickte nur traurig mit dem Kopf und sagte: ‘Ich kann Sie gut verstehen. Fische können nicht so stark bluten, als Bulette schon gar nicht. Es war bestimmt eine dieser hässlichen Ratten, die können viel schlechter das Gleichgewicht halten als Katzen oder Spinnen, deswegen fallen sie in der Küche
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