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Milchschaum

Milchschaum

Titel: Milchschaum
Autoren: Mehler
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hastig, »und ganz leer ist er eigentlich nie. Birkdorfer, die ihre verstorbenen Angehörigen besuchen wollen, gehen ständig aus und ein. Größtenteils unbemerkt, weil all die Grabsteine die Sicht verstellen.«
    Frau Praml nickte, überzeugt sah sie nicht aus. Postwendend kam ihr Einwand:
    »Aber warum hat er es dann nicht zugegeben? Er hätte doch sagen können, dass er da war. Wissen Sie«, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, »ich bin ja nicht ausländerfeindlich, überhaupt nicht, aber …«
    Fanni ließ die Kreissägenstimme, die sich – so weit das bei Kreissägen möglich ist – zu einem Flüstern gesenkt hatte, an ihren Ohren vorbeirauschen. Sie wollte nicht in Neuauflage hören, was ihr Mann und seine Vereinsbrüder regelmäßig predigten: »Die Ausländer sollen mal schön bleiben, wo sie sind. Hier will sie keiner haben. Sie machen einen Haufen Ärger und kosten den Steuerzahler eine Menge Geld.«
    Fanni fiel ein Kommentar ein, den ein Deggendorfer Stadtrat vor vielen Jahren von sich gegeben hatte. Der Ausspruch war sogar auf die Titelseiten überregionaler Blätter gelangt. Den genauen Wortlaut hatte sie vergessen, aber sie erinnerte sich, dass von dem »Problem freilaufender Asylanten« die Rede gewesen war.
    Und nun war ein freilaufender Gastpriester aus Togo unter Mordverdacht geraten.
    Fannis Konzentration heftete sich auf die Szene, die sich auf dem Friedhof abgespielt haben musste, nachdem die Schützen den Tod des Pfarrers festgestellt hatten.
    Sie umringten ihn. Sie flüsterten miteinander. Sie sahen Togo-Franz vorbeigehen. In welcher Entfernung? Hätte Togo-Franz die Gruppe am offenen Grab des Bürgermeisters auffallen müssen? Wenn ja, musste er diese Menschen nicht für trauernde Angehörige halten und betreten vorübereilen?
    Fanni dachte darüber nach, ob es nicht vielleicht eine ganz einfache Antwort auf die Frage gab, warum Togo-Franz versäumt hatte zu erwähnen, dass er nach der Beisetzung des Bürgermeisters bis zum Auffinden des toten Pfarrers auf dem Friedhof geblieben war?
    Natürlich, es gibt eine ganz verblüffend einfache Antwort! Togo-Franz kam nicht auf den Gedanken, dass es eine Rolle spielen könnte!
    »Womöglich hat sich der Kommissar bei Togo-Franz gar nicht erkundigt, wohin er nach der Beerdigung gegangen ist«, sagte Fanni zu Frau Praml.
    »Natürlich hat er das«, teilte ihr Frau Praml im Brustton der Überzeugung mit. »El… jemand hat es deutlich gehört.«
    »Hm«, machte Fanni, »und Togo-Franz hat geantwortet, er war nicht auf dem Friedhof, sondern – wo?«
    Frau Praml druckste ein bisschen herum, dann gab sie zu: »Es war nicht zu verstehen, was er dazu gesagt hat. Er spricht doch so schlecht deutsch. Togo-Franz ist ja mit einem afrikanischen Dialekt aufgewachsen. Französisch soll er können, heißt es. Aber das nützt ihm bei uns in Bayern genauso wenig.«
    Fanni drückte ihre Fingerspitzen gegen die Schläfen. Was zum Teufel hatte sie nicht mitbekommen? Sie argwöhnte, ziemlich dumm dazustehen mit ihrer Frage, aber sie stellte sie trotzdem: »Wie kommt Elsie Kraft darauf, dass Togo-Franz nicht geantwortet hat: ›Ich bin auf dem Friedhof gewesen.‹?«
    Frau Praml sah sie genauso geringschätzig an, wie Fanni befürchtet hatte. »Weil er dann verhaftet worden wäre.«
    Fanni, du stehst mit einem Fuß im Gefängnis.
    Frau Pramls Gesichtsausdruck bekam plötzlich etwas Hinterhältiges. »Aber in einem haben Sie recht, Frau Rot. Togo-Franz war nicht der Einzige, der sich noch am Friedhof aufhielt, während alle anderen schon beim Dorfwirt saßen.«
    Fanni wurde mulmig.
    Frau Praml bohrte den Blick in ihre Augen. »Waren nicht Sie es, die entdeckt hat, dass Pfarrer Winzig vor dem Grab des Bürgermeisters kauerte?«
    Fanni antwortete mit trockenem Mund: »Ich bin ihm aber gar nicht nahe gekommen, habe mich schleunigst aufgemacht, Hilfe zu holen.«
    Frau Pramls Ton war eindeutig mokant, als sie erwiderte: »Wirklich gescheit, dass Sie das gemacht haben, Frau Rot. Sonst könnte man glatt auch Sie verdächtigen, unseren Pfarrer erschlagen zu haben. Sie waren ja wohl nie gut auf ihn zu sprechen.«
    Fanni hatte genug. Genug von Frau Praml, genug vom Frauenbund und mehr als genug vom toten Pfarrer Winzig. Sie sah demonstrativ auf die Uhr. »Meine Güte, Frau Praml, ich muss die Kartoffeln aufsetzen, die Karotten schälen, den Kohlrabi schneiden, das Fleisch anbraten. Wissen Sie, bei uns gibt’s heute Pichelsteiner, das mag mein Mann so gern.«
    Frau Praml
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