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Milchfieber

Milchfieber

Titel: Milchfieber
Autoren: Thomas B. Morgenstern
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leer geräumt war, alle Maschinen schienen verschwunden. Außerdem war der Kuhstall verwaist. Nur bei den Schweinen war der übliche Lärm zu hören, wie immer, wenn jemand an ihrem Stall vorbeiging.
    Irgendetwas ist hier sehr faul, dachte er.
    Horst war vernarrt in seine Kühe, während des Melkens stellte er sich oft, so lange das Melkzeug an der Kuh hing, neben ein Tier und legt seine Hand auf ihren Rücken. Er sprach mit ihnen wie mit einem Menschen und Allmers dachte oft, dass er wirklich ein besonderes Gespür für die massigen Tiere hat. Dass Winkler seine ganzen Milchkühe verkauft haben sollte, war ihm völlig unverständlich. Dazu noch an Claus Ruf, den Winkler, wie Allmers wusste, nicht ausstehen konnte.
    Allmers bemerkte nicht, dass ein roter Golf die Auffahrt herauf gefahren kam. Winklers Hof war einer der ältesten, über Jahrhunderte bewirtschafteten Höfe in der Gegend. Das Haupthaus war noch auf einer Wurt gebaut, diese Mühe hatte man sich schon im siebzehnten Jahrhundert nicht mehr gemacht. Die Deiche waren immer höher geworden und die Sturmfluten erreichten das Hinterland nur noch so abgeschwächt, dass man auf das arbeitsaufwendige Aufschütten künstlicher Erdhügel, nichts anderes waren die Wurten, hatte verzichten können. Wenn ein Hof auf solch einer Wurt stand, war das der Beweis, dass es sich um eine uralte Siedlungsstelle handelte.
    Allmers erschrak, als Winkler plötzlich hinter ihm stand.
    „Ich wollte mich eigentlich zur Kontrolle anmelden“, log Allmers. „Aber hier gibt es wohl nicht mehr viel zu kontrollieren.“
    Winkler nickte stumm und Allmers sah, wie sich seine Augen mit Tränen füllten.
    „Was ist passiert?“, fragte Allmers voller Mitgefühl für seinen alten Kinderfreund.
    Winkler zeigte wortlos mit dem Kopf zur Tür und Allmers folgte ihm in die Küche.
    „Lissy hat mich ruiniert“, sagte Horst Winkler, als sie in der Küche saßen. Er knetete hilflos seine Fäuste. „Sie hat alles verkauft, was nicht niet- und nagelfest war.“ Er fing an zu weinen. „Selbst die Kühe. Ich weiß noch nicht einmal, wo sie hingekommen sind. Vielleicht hat sie sie alle schlachten lassen.“
    Allmers war entgeistert. Er wagte nicht, Winkler zu sagen, wo seine Kühe sind.
    „Wo ist Lissy jetzt?“, fragte er.
    „Ich habe keine Ahnung“, sagte Winkler. „Sie ist einfach verschwunden. Wahrscheinlich abgehauen. Ich habe eine Vermisstenanzeige aufgegeben.“
    „Hat das niemand gemerkt?“, fragte Allmers.
    Horst zuckte mit den Schultern. „Bei der Bank haben sie sich wohl gewundert, dass sie so viel Geld abgehoben hat. Aber das durfte sie ja. Sie hatte Vollmacht. Und ich saß im Gefängnis.“
    „Wann hast du sie denn das letzte Mal gesehen?“, fragte Allmers. „Hat sie dich im Gefängnis besucht?“
    Horst Winkler schüttelte den Kopf: „Sie war doch auf einer Wallfahrt. Vor ein paar Tagen kam sie plötzlich auf den Hof. Sie dachte, ich würde erst am nächsten Tag entlassen werden, aber ich war schon da. Sie wollte wohl den allerletzten Rest abholen.“
    „Und?“, fragte Allmers gespannt, „Was hat sie gesagt?“
    „Sie hätte die Kühe verkaufen müssen, weil sie alle Milchfieber gehabt hätten.“
    Allmers begann laut zu lachen: „So eine dämliche Begründung. Milchfieber! Und sie hat tatsächlich gedacht, du würdest das schlucken? Milchfieber!! Dass ich nicht lache.“
    „Wir haben uns fürchterlich gestritten“, sagte Winkler.
    „Warum hast du nicht die Polizei gerufen?“
    „Die helfen doch keinem Mann, dessen Frau ihn in den Ruin treibt.“
    „Und nun?“, fragte Allmers, „wie soll es weiter gehen?“
    „Die Schweine sind noch auf dem Hof. Die waren wohl noch zu klein zum Verkaufen. Wenn ich den erwische, der meine Kühe hat, bringe ich ihn um, das kannst du mir glauben.“
    „Davon bekommst du sie sicher nicht wieder“, sagte Allmers und verabschiedete sich.
    Vor dem Haus traf er Klaus.
    „Wie geht’s?“, fragte Allmers jovial und erwartete eigentlich keine andere Antwort als ein kurzes „ganz o.k.“ oder ein genuscheltes „wird schon“, „wat mut, dat mut“ oder etwas ähnlich Sinnentleertes. Klaus Winkler aber antwortete mit einem kryptischen Satz, über den Allmers lange nachdachte, aber trotzdem nicht verstand, was gemeint war.
    Klaus Winkler sah durch Allmers hindurch und sagte: „Der Ostwind ist immer kalt, egal aus welcher Richtung er weht.“

Kapitel 39
    „Vor zwei Jahren“, sagte der Staatsanwalt, „habe ich dir schon einmal
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