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Milchfieber

Milchfieber

Titel: Milchfieber
Autoren: Thomas B. Morgenstern
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möglich den Hof verlassen.
    „Gekauft“, meinte Ruf, „sie sind zur Zeit noch auf einer besonderen Weide. Es dauert lange, bis die Tiere sich aneinander gewöhnt haben.“
    Allmers nickte. Er ärgerte sich über Rufs Art, keine Rücksicht auf den Milchkontrolleur zu nehmen und über seine Kollegin. Sie hat es gewusst, dachte er. Sie war nicht krank, sondern hatte keine Lust, bei Ruf die vielen neuen Kühe aufzunehmen. Neue Kühe bedeuten für den Milchkontrolleur viel Arbeit. Jedes einzelne Tier muss mit der zehnstelligen Ohrmarkennummer in die Formulare eingetragen werden. Jeder kleine Zahlendreher bedeutet viele Rückfragen und wiederum neue Arbeit. Viele Telefonate und manchmal muss man noch einmal auf den Betrieb fahren, um die Nummer zu kontrollieren.
    Ruf trieb die Tiere in den Melkstand. Allmers kannte nicht alle Kühe seines Bezirkes, aber an einige erinnerte er sich immer wieder. Manche hatten erstaunliche Fellzeichnungen, andere waren besonders groß oder klein. Die Tiere, die er jetzt im Melkstand vor sich sah, kannte er, dessen war er sich sicher.
    „176“, meinte Ruf, hängte das Proberöhrchen an Allmers Pult und drehte sich um.
    „Von wem hast du die Tiere gekauft?“, fragte Allmers.
    „Vom Viehhändler.“
    „Ich meine, von welchem Betrieb stammen sie?“
    „Keine Ahnung.“ Claus Ruf zuckte mit den Schultern und Allmers merkte, dass es ihm egal war, wie der Milchkontrolleur auf seine Aussage reagierte. Kein Bauer kauft eine ganze Herde, überlegte er, wenn er den Betrieb nicht kennt, von dem sie stammt. Außerdem steht das auf dem Rinderpass. Claus Ruf ist und bleibt ein Arschloch, dachte er.
    Die Kuh 187 erkannte Allmers sofort. Es war Ingelore, Horst Winklers Lieblingskuh.
    Fassungslos fragte er: „Sind die alle von Horst?“
    „Ich sage doch, ich weiß es nicht. Außerdem geht dich das einen feuchten Keks an. Wir sind fertig. Morgen um halb sechs.“
    Nach der morgendlichen Kontrolle, in der Ruf außer für die Nummer der Kühe nicht den Mund aufmachte, fuhr Allmers zur Molkerei. Manchmal gab er die Kästen mit den Proben dem nächsten Milchwagen mit, mittlerweile war das immer schwieriger geworden, weil die Milch bei den meisten Betrieben nur noch alle drei Tage abgeholt wurde. Allmers traf auf seiner monatlichen Tour über die Höfe der Umgebung den Milchwagen praktisch nicht mehr.
    Jemanden anzuzeigen war Allmers zuwider, aber die Vorstellung, dass die Molkerei die Milch von Ruf, in der vielleicht zwei Tage eine tote Katze geschwommen war, nichts ahnend zu Sahne oder Butter verarbeiten würde, fand er ekelhaft. Rufs Skrupellosigkeit konnte er, das war ihm klar, nicht durchgehen lassen.
    In der Molkerei wollte zuerst niemand glauben, was Allmers erzählte. Schließlich wurde das Veterinäramt des Kreises alarmiert. Ruf musste die Milch wegschütten und bekam eine saftige Strafe. Allmers war klar, dass er auf diesem Betrieb nie wieder Milchkontrolle machen konnte.

Kapitel 38
    Frau Sebilewski war Lehrerin für Deutsch, Erdkunde und Biologie in Lüdenscheid. Sie benutzte so selten ihren Vornamen, dass einige ihrer Kollegen spotteten, sie habe ihn selbst vergessen. Nicht nur bei Telefonaten mit Eltern ihrer Schüler meldete sie sich mit „Hier ist Frau Sebilewski“, auch wenn sie die wenigen Freunde anrief, die sie hatte, passierte ihr das immer wieder. Die Schüler nannten sie Senilewski, aber das störte sie nicht.
    Sie hatte keinen Mann und die letzte Liebschaft lag schon viele Jahre zurück. Er war ein langweiliger Studienrat gewesen, der sich nicht aus seiner Unterhose und den Socken hatte schälen wollen, als er zu ihr ins Bett gestiegen war. Jetzt war ihre einzige Leidenschaft der Kleine Moorbläuling. Seinetwegen kam sie jedes Jahr im Hochsommer in die norddeutschen Verbreitungsgebiete des kleinen Falters und war glücklich, wenn sie ein paar Exemplare davon fotografieren konnte. Auch im Aschhorner Moor flatterten einige herum und Frau Sebilewski war froh über ihre Entdeckung des Moorkiekers, einer kleinen Bahn, die auf stillgelegten Gleisen des örtlichen Torfwerks im Schritttempo durch das Moor tuckerte. Gefahren wurde sie von einem kundigen Biologen, der während der Fahrt absprang, die Weichen zu stellen und gleichzeitig die ganze Moorlandschaft von ihrer Entstehung bis zum heutigen Tag zu erklären. Frau Sebilewski hatte eigentlich keinen Draht zu Männern, zu Frauen allerdings auch nicht. Sie sei da ganz leidenschaftslos, meinte sie einmal in einem Gespräch mit einer
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