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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume
Autoren: Thomas Sautner
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kein Notar nötig. Als der Notar aber erwähnte, dass er das anders sehe, und der Bauer erkennen musste, was hinter seinem Rücken vom Großvater und von der Großmutter vorbereitet worden war, fiel ihm nur noch eine Lösung für sein Problem ein: Er drohte dem Notar mit der Mistgabel. Woraufhin der bislang souveräne Mann erschrak. Gehörig erschrak.
    Es machte schon den Anschein, als sei die Mistgabel das geeignete Instrument gewesen, um die Angelegenheit im Sinne des Seifritz-Bauern zu regeln, da standen die beiden Alten auch schon im Türstock und winkten und schrien, der Herr Notar möge doch bitte nähertreten, nur zu. Und wenn er sich nicht traue, könnten auch gerne sie mit ihm kommen, mit seinem Wagen, und in die Bezirkshauptstadt fahren, um die Angelegenheit zu regeln.
    Als der feine Herr mit zur Vorsicht eingezogenem Kopf am Seifritz-Bauern vorbeitänzelte, den Aktenkoffer schützend vor sich haltend, und schließlich das Haus betrat, hatte sich bereits, wie zufällig, eine Handvoll Legger in der Nähe eingefunden. Ihre Anwesenheit verlieh dem Ereignis zusätzlichen Reiz, machte es größer, als es ohnehin war, und beschenkte die Anwesenden so mit einer wunderbaren Bedeutsamkeit. Abermalige Aufladung erfuhr das Geschehene, als die Augenzeugen wenig später daran gingen, das Erlebte weiterzuerzählen, Gott und der Welt.
    Auf diese Weise hörte auch Silvia erst nachträglich von der Sensation, die sich am Hof zugetragen hatte, dass nämlich der Notar aus der Bezirksstadt höchstpersönlich gekommen war, um das Urteil der Großeltern zu vollstrecken: die Enterbung ihres Sohnes, des Seifritz-Bauern. Silvia hatte von all dem Zirkus nichts mitbekommen, da sie die Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Wald zugebracht hatte – wie meistens seit jenem heißen Tag im Juli, der so abrupt ihr Leben verändert hatte.
    Anfangs war sie jeden Tag an den Ort gegangen, an dem Jakob aus ihrem Leben verschwunden war. Sie hatte ihn gesucht im Wald und sich immer tiefer hineingetraut. Hatte seinen Namen in alle Himmelsrichtungen gerufen, doch nicht nur das. Ihr Herz hatte sie dem Wind anvertraut, ihren Schmerz und ihre Sorge. Hatte »Jakob!« gerufen und dabei Liebe gemeint und Sehnsucht, war in diesen Momenten ganz bei ihm gewesen, und auch ihre Gebete drehten sich nur um ihn. Jedes Mal, wenn Silvia sich wieder auf den Rückweg machen musste, weil die Sonne hinter die Baumwipfel glitt, jedes Mal, wenn sie ihn abermals nicht gefunden hatte, spürte sie, wie die Kraft aus ihrem Körper kippte. Dann gaben ihre Knie nach, und sie musste an den nächsten Tag denken, die nächste Suche nach ihm, um genug Willen aufzubringen, zurückzugehen und nicht einfach liegen zu bleiben, gleich hier, egal, für immer.
    Das Weinen half ein wenig. Mit den Tränen fand die Verzweiflung einen Weg nach draußen, konnte ihre Sinne verlassen, zumindest für kurze Zeit.
    Wenn Silvia dann am Abend zum Hof zurückkehrte, stand, wie stets, bereits das Abendessen für sie bereit. Am Boden stand es dann, vor jener Tür, die zu Jakobs Kammer führte. Es war das einzige Zimmer, das Silvia noch bereit war zu betreten. Von den anderen wurde ihr Verhalten akzeptiert, ebenso ihre Weigerung, weiter an der Hausarbeit teilzunehmen, oder an den Arbeiten auf dem Feld und im Stall, oder an irgendwelchen Tätigkeiten, die auch nur im Entferntesten etwas mit dem Seifritz-Bauern zu tun hatten.
    Silvia erwartete nicht, dass die anderen für sie sorgten. Das geschah einfach. Jeden Morgen fand sie ihr Frühstück vor der Kammertür. Jeden Abend ihr Abendbrot. Meist war es die Großmutter, die es ihr brachte. Manchmal die Mutter.
    ***
    Schön, dass du mir so lange zugehört hast. Es war gut, mit dir zu reden. Weißt du, es gibt nicht viele wie dich. Fast alle sagen, dass ihnen das Leben wichtig ist, und der Sinn, aber so wenige handeln danach.
    Solche Sehnsucht haben die Menschen nach dem Schönen, dem Puren, nach der Wahrheit. Aber wenn sie all das direkt vor ihrer Nase haben und nur zugreifen müssten, werden sie plötzlich misstrauisch und fürchten sich, daran zu glauben.
    Ich muss jetzt zu meiner Milchblume. Ich habe ihr viel zu erzählen, viele neue Wahrheiten. Sie wird sie zulassen, da bin ich sicher. Ich habe Vertrauen, dass alles gut wird. Beginnen werde ich ganz einfach damit, Silvia Glück zu schenken. Ich werde ihr zeigen, wie gut es tut, leicht zu sein und mit dem Leben zu schwingen. Ich will auch deinen Rat beherzigen und sinnvoll umgehen mit meiner
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