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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume
Autoren: Thomas Sautner
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Lebenskraft. Unnützes werde ich meiden, werde es einfach liegen lassen auf meinem Weg, um den Sinn für Wichtiges zu bewahren und die Zeit für Schönes. Gemeinsam mit meiner Milchblume will ich jeden Morgen bereit sein für alles Neue, will es fühlen, bestaunen und danach greifen. So wird mein Leben Bedeutung haben.
    Besuch uns bald, mein Freund. Komm zu uns. Ich möchte dich ihr vorstellen.
    Das wird rascher geschehen, als ich denke? Was meinst du damit?
    Was heißt, das werde ich schon sehen?
    Ja, gut. Dir auch alles Glück!
    Na flieg schon.
    Flieg!

19.
    S ilvias Herz zersprang beinahe vor Aufregung. Sie hielt den Atem an, kniff die Augen zusammen, ging langsam näher, vorsichtig, auf weichen Sohlen. Ganz so, als könnte zu starkes Auftreten jenes Bild zerstören, das vor ihren Augen an Schärfe gewann.
    Und dann musste sie keinen Schritt mehr tun, denn sie war gewiss. Ihre nackten Füße hielten inne in der regennassen Wiese, und Silvia entschied, das Herannahen des Glücks zuzulassen. Tränen stiegen in ihre Augen, kitzelnd und seelentanzend wunderbar, Tränen uferloser Dankbarkeit. Da oben, am Waldrand, da saß Jakob.
    Sie beobachtete ihn von der Ferne. Er schien mit jemandem zu sprechen. Sie aber konnte niemanden erkennen. Silvia musste sich zusammennehmen, nicht lauthals jauchzend auf ihn zuzulaufen, musste ihr Herz beruhigen. Vorsichtig, ganz vorsichtig ging sie näher, Schritt für Schritt, nur nichts zerstören, nur nichts zerbrechen.
    Jakob schien zu gestikulieren, er hob und senkte die Arme, nickte, wiegte den Kopf. Ja, es schien, als würde er sich mit jemandem unterhalten. Doch so sehr Silvia ihre Augen auch bemühte, da war niemand auszumachen.
    Sie wurde nicht müde, ihn zu beobachten, genoss schon jetzt seine Nähe, umschmiegte ihn und ließ ihn nicht mehr los, küsste ihn schon jetzt zärtlich auf die Wange, fuhr ihm durch sein Haar, das wie immer in alle Himmelsrichtungen stand, flüsterte ihm ins Ohr. Ein bisschen noch wollte sie sich näher trauen, ein bisschen nur. Ihre Sohlen streiften das Gras, ihre Arme hielten Balance, fühlten warmen, leichten Wind. Und dann sah sie es, sah, wem Jakob gegenüberhockte auf dem sonnenbeschienenen Restling, der am Waldrand flach aus dem Boden ragte. Ein Rabe war es. Jakob saß, eine kleine Ewigkeit nun schon, einem Raben gegenüber.
    Und so merkwürdig es Silvia auch schien, nach wie vor hatte sie den Eindruck, als würden die beiden miteinander reden, als unterhielten sie sich, kaum eine Armlänge voneinander entfernt. In der Sekunde, in der Silvia sich entschieden hatte, nicht länger zu warten, nun zügig näher zu gehen und nach Jakob zu rufen, hob der Rabe unvermittelt seine Flügel. Er formte sie eckig, duckte dabei den Kopf zwischen seine Schultern, tat ein paar Schritte, stieß sich ab und flog davon, mit rhythmischem Flügelschlag, in den offenen Wald. Jakob sah ihm hinterher und wandte dann sein Gesicht, wandte es der Wiese zu, und sah, zierlich und im Sommerwind, Silvia.
    Gerade noch wollte sie ihm entgegenlaufen mit fliegenden Fersen. Doch nun war nichts mehr möglich, starr war sie, durch und durch, und wie angewurzelt. Jakob hingegen erhob sich und tat den ersten Schritt. Tat den zweiten, dritten, kam ihr entgegen, ging auf sie zu mit federndem Gang, mit klarem Gesicht und geradem Rücken. Gewiss, er war es, natürlich, es war ihr Jakob, aber Silvia spürte, dass etwas mit ihm geschehen war. Es war nicht nur sein selbstsicherer Schritt, es war auch sein Blick, der war so klar wie nie zuvor. Klar und voller Kraft und Sicherheit, ja, als wäre etwas Bedeutendes mit ihm geschehen.
    Silvia betrachtete ihn, angespannt, unsicher, gänsehäutig bis in die zartesten Härchen ihres Nackens. Und dann, endlich, schickte er ihr ein Lachen. Es fiel durch ihre Augen in ihr Herz, lag dort, einen kleinen Moment nur, und entfaltete dann sein Glück, rieselnd bis in die Fingerspitzen. Plötzlich zog es ihren Körper nach vorne, ihre Beine bewegten sich, gerieten ins Laufen, Leichtigkeit übernahm ihr Herz, und dann rannten sie aufeinander zu. Silvias Zöpfe sprangen im Wind, ihre Wangengrübchen machten Jakob lachen, mehr und mehr, und dann sah Jakob den Glanz in ihren Augen. Glanz in den Augen seiner Milchblume. Und wusste nicht, dass dieses Leuchten jetzt erst wieder erwacht war, jetzt soeben, ja, gerade erst.
    Momente später war es, Hände, Atem, erste Zärtlichkeiten, da vernahmen die beiden ein immenses Summen. Erschrocken blickten sie auf. Rasch kam das
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