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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume
Autoren: Thomas Sautner
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auf seiner Heugabel. Ihr Duft ließ ihn daran denken, wie wertvoll das Gras war. Und was für ein Segen, ja, was für ein Segen der Natur, dachte er beeindruckt. Nur Sonne und Regen braucht es, um Pflanzen immer wieder wachsen zu lassen. Ewig wachsen sie, bis in alle Zeit. Immer wieder aufs Neue. Einfach so. »Ein Wunder!«, rief Jakob lauthals, »Ein Wunder!« Rund um ihn arbeiteten seine Eltern und die anderen Kinder der Seifritz-Bauern, sie schüttelten die Köpfe über Jakobs scheinbar grundloses Entzücken. Nur Silvia, die Jüngste, schien zu verstehen. Sie lächelte, und ihre Bewegungen beim Aufschichten des Grases wirkten mit einem Mal unbeschwerter, flotter als zuvor.
    Jakob bemerkte die verständnislose Reaktion der Eltern nicht. Auch nicht jene der beiden jüngeren Brüder, die ihrem Vater nacheiferten und abfällige Gesichter machten. Aber ebenso entging ihm Silvias Lächeln. Wie wild schichtete er Gras auf.
    »Jakob, verflucht, du schmeißt ja die Hälfte daneben!«, schrie der Seifritz-Bauer. Jakob aber hörte ihn nicht, war wie entrückt. Die Arbeit sollte erledigt sein, bevor die ers­ten Tropfen fielen.
    »Jakob, du Hornochs!«, brüllte der Bauer, und weil der Bursche noch immer nicht reagierte, fühlte er sich provoziert – noch dazu, da die anderen rundherum standen und alles mitbekamen. Heißes Blut schoss dem Bauern ins Gesicht, färbte es dunkelrot, beinahe violett. An seiner Stirn schwoll eine Ader, dick und dicker, pulsierend blau. Jakobs Brüder Hans und Fritz wussten, was gleich kommen würde. Die Fäus­te des Seifritz-Bauern hatten sich um den Stiel der Heugabel gespannt. So fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, so heftig, als wollte der Vater den hölzernen Griff zerreiben unter seinen Pranken. Und dann reichte das nicht mehr. Dann bewegte blanke Wut seinen massigen Körper nach vorne. Wie im Rausch war er jetzt, einem Bullen gleich, sein Ziel im Visier.
    »Jakob«, rief Silvia, aber keineswegs laut, vielmehr wie beiläufig.
    Sofort sah Jakob auf. Sein Blick folgte der Richtung, die Silvias Hand ihm anzeigte. Und dann duckte er sich. Über ihm durchschnitt die schwere Heugabel des Vaters surrend die Luft. Der starke Schwung und der fehlende Widerstand ließen den Bauern das Gleichgewicht verlieren. Er kippte zur Seite, fiel schreiend zu Boden.
    Jakob hatte keine Ahnung, weshalb sein Vater derart in Rage über ihn war. Doch er wusste, was zu tun war. Er rannte davon. Ruckartig richtete indes der Seifritz-Bauer seinen schweren Körper wieder auf. Eine Strähne seines glatten, braunen Haars hing ihm ins Gesicht. Er schrie und fluchte und schleuderte Jakob die Heugabel hinterher. Sie verfehlte ihr Ziel.
    Die Mutter blickte Jakob nach, seufzte erfahren und machte sich wieder an die Arbeit. Hans und Fritz taten sich schwer, ihr Lachen zu unterdrücken. Lustig war es, dass ihr Bruder so panisch davonjagte und wieder der Dumme war, doch der Vater, der energisch Gras aus seinem Hemd schüttelte, hätte ihr Lachen auch anders verstehen können. Deshalb blickten sie rasch zu Boden. Silvia senkte ebenfalls den Kopf, schmunzelnd, besann sich dann aber und tat es ihrer Mutter gleich, fuhr mit der Arbeit fort.
    Die erste Böe kam wie eine Warnung, frischte nur kurz die Luft auf und brachte ein paar harmlose Tropfen. Dann war Stille. Bis mit einem Mal, wie aus dem Nichts, ein Brausen und Rauschen über den Wald ging und der Wind ein Laken über die Familie zog, grau und feucht. Plötzlich fröstelte es sie, hielten sie klamm inne, wie verwurzelt nach oben gaffend alle, wie gelähmt von höherer Macht. Und dann kam die Gewissheit, schlug ein auf sie vom Himmel her, überraschend wie stets, angekündigt wie immer. Sturmwind und Regen vereinigten sich zum tobenden Ungetüm, das gab sich, krachend, brüllend, Blitze werfend, seiner Kraft hin. Schwer ließ es sein Gewicht auf die Wiese fallen, drang ein in die Heukraxen, prasselte gegen die vibrierenden, dünnen Fensterscheiben des Hofes, peitschte das Dach und riss an den Obstbäumen, die den Hof umstanden. Der Himmel dröhnte, Donnerschläge.
    Jakob war so schnell gerannt, dass er seinen Lauf vor dem Scheunentor nur noch hatte bremsen können, indem er sich mit einem Poltern dagegen krachen ließ. Nichts Ungewöhnliches war das, so tat er es oft, auch bei schönem Wetter, einfach aus Lust am Übermut. Er atmete durch, genoss seinen wilden Herzschlag, hörte ihn in den Ohren, spürte ihn in der Brust. Als das Frohsein drohte, an Kraft zu verlieren,
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