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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne
Autoren: Mika Waltari
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schwieg und tat ein paar rasche Schlucke, als schäme er sich seiner Redseligkeit, aber ich drang in ihn, mir noch mehr zu erzählen, und er fuhr mit Jungfer Pirjos Erlaubnis fort.
    »Ein guter Henker muß vor allem verstehen, das Vertrauen seiner Klienten zu gewinnen. Darin ist seine Arbeit mit der des Priesters oder der des Arztes zu vergleichen. Du hast heute gesehen, wie beherzt meine beiden Freunde aus freien Stücken die Leiter bestiegen. Es wirft ein schlechtes Licht auf den Scharfrichter, wenn sein Klient mit Gewalt zur Hinrichtung geschleppt werden muß oder heulend und kreischend das Volk um Gnade anfleht und seine Unschuld beteuert. Die große Kunst liegt darin, ihn so weit zu bringen, daß er wie ein Weiser in den Tod geht, voll christlicher Ergebenheit und in der Überzeugung, daß das Leben eitel und ein rascher, schmerzloser Tod das schönste Geschenk ist, das die Welt ihm zu bieten hat.«
    Es dauerte geraume Zeit, bis ich dem häßlichen Gedanken, der mich durchzuckt hatte, als ich die hilflosen Füße jener Verbrecher am Galgen ihren letzten Tanz tanzen sah, Worte zu leihen wagte.
    »Meister Laurentius! Unter Euren erfahrenen Händen sah ich einen Menschen so schmerzlos sterben, daß ich mich zu fragen begann, ob es denn überhaupt etwas gibt – nach dem Tode?«
    Er bekreuzigte sich ehrfürchtig und antwortete: »Das sind gottlose Reden, die ich nicht hören will. Wer bin ich armes Menschlein, daß ich zu beweisen versuchen sollte, was sich nicht beweisen läßt?«
    Allein er sprach nur zögernd, und als ich aufs neue in ihn drang, erwiderte er: »Du hast recht vermutet, Michael. Als Diener des Todes habe ich oft über diese Dinge nachgedacht, und meine Gedanken schlugen dabei eine Richtung ein, die mich heute meinen Klienten nicht mehr von Seligkeit und ewigem Leben sprechen läßt; das überlasse ich den Priestern. Wenn aber ein armer Teufel in seiner Angst vor der Verdammnis mich bittet, ihm zu sagen, was ich vom Tode weiß, dann fordere ich ihn auf, sich vorzustellen, er trete aus einer eisigen Winternacht erschöpft in eine dunkle, warme Hütte und lege sich auf ein weiches Bett. Dort könne er tief schlafen und brauche nicht zu fürchten, von einem Pochen an der Tür geweckt und wieder in die Kälte hinausgeschleppt zu werden. So spreche ich zu ihm; und wenn’s eine große Sünde ist, so möge sie mir vergeben werden um des Trostes willen, den sie vielen spendete, die im Glauben schwach waren.«
    Obgleich ich wußte, daß Meister Laurentius hier einem Irrtum verfallen war und eine Irrlehre predigte, ohne es zu wissen, so gewährte mir seine Einbildung doch einen besonderen Trost, denn ich dachte viel an meine Mutter, und das Herz tat mir weh um sie. So beruhigte mich die Vorstellung, daß sie, als sie sich ertränkte, aus der Schande und Demütigung des Lebens in einen Schlaf hinübergeglitten war, aus dem sie niemand wecken konnte.
7
    Solche Erwägungen waren ein Zeichen, daß ich meine kindliche Unschuld bereits verloren und der Teufel begonnen hatte, mir seine Fallstricke zu legen, um mich zu verderben. Dasselbe ließ sich von meinem nunmehr eintretenden Stimmbruch sagen, der mich meine Stelle als Chorsänger kostete; und die Veränderungen, die jetzt an meinem Körper vor sich gingen, machten mir viel zu schaffen.
    An einem Samstagabend, nachdem Jungfer Pirjo mich in der Badestube gebadet hatte, untersuchte sie mich sorgfältig, und als wir wieder daheim waren, sprach sie ernst: »Michael, von jetzt an wäre es besser, wenn du dir Haar und Rücken selber waschen würdest. Auch schickt es sich nicht länger für dich, mit mir in einem Bett zu schlafen, da es dich in Versuchung führen könnte. Du mußt dein eigenes Bett haben und Männerkleider tragen, denn bald wirst du ein Mann sein.«
    Ihre Worte machten mich traurig, doch ich wußte, daß sie recht hatte, und wußte auch, warum sie manchmal in Frühlingsnächten dalag und so tief seufzte. Ich hatte bereits begonnen, über das Verhältnis zwischen Männern und Frauen nachzudenken, und war in solchen Dingen nie im unklaren gelassen worden, denn die anderen Scholaren waren rauhe Brüder, die ihre Worte nicht auf die Goldwaage legten. Aber wenn sie sich ihrer Heldentaten rühmten, errötete ich vor Scham. Ich hatte eine erhabene Auffassung von der Liebe und fühlte nicht den leisesten Wunsch, ihr nachzugehen, als ich erfuhr, wie niedrig und tierisch ihre körperliche Seite war.
    Dennoch litt ich unter mannigfaltigen und rastlosen Gedanken.
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