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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne
Autoren: Mika Waltari
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Wallfahrt nach dem Heiligen Land abwichen. Ich möchte dich nicht gegen deinen Willen überreden, Bruder Andy, bin aber entschlossen, diese Reise nun mit dir oder ohne dich fortzusetzen, und keine Macht der Erde kann mich von meinem Vorhaben abbringen.«
    »Der Weg nach Jerusalem ist beschwerlich und voller Gefahren«, sagte Andy. »Wir könnten den Ungläubigen in die Hände fallen. Könnten wir nicht hier ebensogut unser Seelenheil finden? Einer von Schärtlins Pikenieren hat die Lanzenspitze des heiligen Longinus gestohlen, die unseres Herrn Herz durchbohrte. Er hat sie an seine eigene Pike gebunden und schwört, sich damit geradewegs bis in den Himmel durchzuschlagen, und wenn ihm tausend Teufel im Wege stünden. Vielleicht würde er sie uns verkaufen, wenn wir ihm genug dafür bieten. Sie könnte nicht mehr kosten als die Reise ins Heilige Land.«
    Ich schüttelte den Kopf über seine Halsstarrigkeit und Torheit.
    »Du verstehst nicht, was ich meine«, versetzte ich. »Sei lieber still. Als ich von der Pest genas, träumte ich, wir schritten auf einer leuchtenden Straße dahin. Im Gehen stolperten wir über Dornbüsche und Trümmer. Am Ende der Straße aber lag das heilige Jerusalem, eine goldene Stadt. Gleich tags darauf kam die tückische Lukrezia mit dem Spanier ins Haus, und ich wäre eines schrecklichen Todes gestorben, hätte nicht die Vorsehung mir gnädig die Kraft gegeben, den Kerl zu erschießen. Das ist ein unleugbares Zeichen. Was die Gefahren und Beschwernisse der Reise betrifft, so übertreibst du, denn der Kaiser zahlt nun dem Sultan jährlich zwanzigtausend Dukaten für den Schutz der Pilger und der heiligen Stätten, und wir brauchen uns nur bei den Türken in Venedig einen Geleitbrief zu besorgen. Wir können bequem mit einem venezianischen Schiff reisen, denn ich habe genug erspart, um dafür aufzukommen und Lebensmittelvorräte einzukaufen. Es war die Vorsehung, die mir den Spanier und seine Börse sandte, um den Verlust wettzumachen, den ich erlitt, als ich auf der Straße erkrankte und beraubt wurde.«
    Andy erkannte nun, daß ich nicht in Fieberträumen redete, sondern meinen Plan sorgfältig überdacht hatte. Er kratzte sich am Kopf und meinte schließlich: »Die See wird ja wohl im Sommer nicht allzu stürmisch sein, und unsere Fahrt von Genua nach Spanien habe ich in guter Erinnerung.«
    »Herrlich, Andy!« erwiderte ich. »So mußt du die Dinge betrachten. Du wirst unsere Reise bis Venedig ermöglichen, ich werde die Seereise von dort nach dem Heiligen Land übernehmen, und so wird der fromme Vorsatz unserer Jugend erfüllt werden. Wir wollen diese letzten abwegigen Jahre vergessen und unsere Seelen retten. Mag der Kaiser seine eigenen Taten rechtfertigen, wir wollen für die unseren einstehen.«
    Zwei Tage darauf ruderten wir, als Träger verkleidet, den Tiber hinab nach Ostia. Uns begleiteten der venezianische Gesandte Domenico Venier und zwei Damen des Hofes von Mantua, gleichfalls verkleidet. Ich war noch so schwach, daß ich kaum das große Ruder führen konnte. Aber mein Geist frohlockte über den Abschied von Rom, das hinter uns versank, und ich labte mich an der frischen Juniluft nach alldem Gestank brennender Trümmer und verwesender Leichen. Da Rom, dieser ausgeraubte Leichnam, hinter uns verschwand, war mir, als läge die ganze Christenheit wie ein verwundetes, pestkrankes und jammerndes Geschöpf danieder, vor dem man fliehen mußte, wollte man seine Seele retten.
    In Ostia waren wir in Sicherheit. Domenico Venier hatte beschlossen, die Signoria seiner mächtigen Republik zu überreden, dem Papst Lösegeld zu leihen; daher erleichterten uns die kaiserlichen Besatzungstruppen in Ostia die Reise nach Möglichkeit, und auf offener See standen wir unter dem Schutz der verbündeten Flotte unter dem Befehl Andrea Dorias. So langten wir wohlbehalten in Venedig an, wo wir uns nach dem Heiligen Land einschiffen wollten.
    Ich habe nun die vielen seltsamen Abenteuer meiner Jugend aufrichtig geschildert und nicht versucht, meine Irrtümer zu verhehlen oder meine Taten in günstiges Licht zu rücken. Die bloße Erzählung reicht wohl hin, den klugen Leser von meinen guten Absichten zu überzeugen, und auch meine christliche Demut nach der Plünderung Roms muß für mich sprechen. Doch hoffe ich, eines Tages Gelegenheit zu finden, von unserer Seereise von Venedig aus zu berichten, auf der wir das Heilige Land nie erreichten, und wie ich statt dessen den Turban nehmen und ein Anhänger
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