Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne
Autoren: Mika Waltari
Vom Netzwerk:
allerärmsten Einwohner waren am Verhungern. Kein Bauer war ein solcher Tor, Nahrungsmittel nach Rom zu bringen, und die in der Stadt angelegten Vorräte waren entweder von der aufrührerischen Bevölkerung in der ersten wilden Völlerei verschlungen oder aber den Schweinen vorgeworfen worden. Die Luft war von Fäulnis verpestet, überall huschten Ratten umher und benagten die Leichen, und eines Tages erschossen einige Spanier unweit des Kolosseums zwei Wölfe, die der Aasgeruch in die Stadt gelockt hatte.
    Im Gefolge der Hungersnot kam die Pest, und ich, der ich in ihrer Behandlung unerfahren war, konnte nun Erfahrungen sammeln, die mir für den Rest meines Lebens reichten. Als die ersten unter den Pikenieren über brennenden Durst zu klagen und ihre schmerzenden Achselhöhlen und Leisten zu betasten anfingen, wußte ich, was uns erwartete, und konnte aus Mangel an Arzneien sie nur zur Ader lassen und ihnen Brechmittel eingeben, damit sie nicht vor Fieber und Schmerzen verrückt würden und sich in den Fluß stürzten. Die Pest verbreitete sich sogar bis in die Engelsburg, und viele fürchteten, der Papst könnte uns durch die Lappen gehen.
    Wir lebten wie in einem Alptraum. Ich taumelte im Gehen und litt an Schwindelanfällen; doch zwang ich mich, meinen Esel zu füttern und zu tränken. Als ich eines Morgens in der Peterskirche nach ihm sah, strömten etwa hundert Pikeniere in die Kirche, banden die Maulesel los und verlangten auch meinen Esel, den sie zu irgendeinem Mummenschanz benötigten. Ich ging mit ihnen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Als ich ihn nachher wieder haben wollte, packten sie mich und zwangen mich, ihnen zu folgen und einen Priester ausfindig zu machen, den sie martern wollten. Es gab einige wenige Priester in Rom, die trotz des Interdikts immer noch ihres Amtes walteten, den Opfern des Hungers und der Pest die Sakramente spendeten, die Kranken betreuten und die Betrübten trösteten. Einer dieser guten Leute hatte das Unglück, uns zu begegnen, und die Pikeniere befahlen ihm, meinem Esel die heilige Hostie zu reichen. Allein obgleich sie ihn schlugen und verbleuten, bis ihm das Blut aus’ dem Mund und Nase lief, widerstand er dennoch mannhaft und sagte, er wolle lieber sterben als das Sakrament entweihen. Seine Standhaftigkeit erboste die vom Teufel besessenen Männer über die Maßen; sie ermordeten ihn und traten die Hostie in den Schmutz. Mein Esel begann zu wiehern, und mit diesem Laut im Ohr, fiel ich in Ohnmacht.
    Ich erwachte inmitten betäubenden Gestankes und fühlte brennenden Durst und starke Schmerzen. Ich tastete um mich und erwischte einen verwesenden menschlichen Arm, der sich vom Körper löste. In meinem Delirium meinte ich, im höllischen Feuer zu liegen. Allmählich aber wurde mein Kopf klarer, und ich erkannte, daß man mich ausgeraubt und vor einer kleinen Kirche nackt unter die Pestleichen geworfen hatte. Die Angst verlieh mir die Kräfte, auf die Straße zu kriechen und mit zitternder Stimme um Hilfe zu rufen. Viele Menschen kamen vorbei, machten sich aber eilends aus dem Staube, als sie meine Stimme hörten. Ich fühlte die Geschwüre in Achselhöhlen und Leisten, die mir gräßliche Schmerzen bereiteten. Mein Kopf war vom Fieber wie benebelt; mir war, als hörte ich noch immer das schrille Wiehern des Esels, wie damals, als der sterbende Priester die Finger auf die geweihte Hostie gelegt hatte, um sie vor den Tritten der Soldaten zu schützen.
    In der Gewißheit, daß ich dem Tode nahe war, fiel ich aufs neue in Ohnmacht, erwachte aber nach Einbruch der Dunkelheit und fühlte, wie mir eine kleine Zunge das Gesicht leckte – Rael war bei mir. Er hatte sich im Gedränge verlaufen, aber irgendwie zu mir zurückgefunden. Als er sah, daß ich wach war, stieß er kleine Freudenschreie aus und zwickte mich ins Ohr, damit ich aufstände. Das brennende Fieber machte mich federleicht, und ich stand wie viele andere Pestkranke auf und taumelte die Straße hinunter, lehnte mich gegen die Wände der Häuser und fiel oft auf mein Gesicht.
    Ich war mir des Weges, den ich einschlug, nicht im geringsten bewußt; der Hund aber brachte es fertig, mich bis dicht an Lukrezias Haus zu führen. Da fiel ich wieder, und diesmal konnte ich mich nicht mehr erheben. Rael zog und zerrte ein Weilchen an mir und lief dann kläffend weg, um Andy zu wecken und zu mir zu führen. Andy hob mich auf und trug mich ins Haus – eine selbstlose Tat, die kaum zu übertreffen ist, denn selbst ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher