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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne
Autoren: Mika Waltari
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ihres heimlichen Gewerbes willen allzu abgeschieden leben mußte und im Laufe der Zeit ihrer einzigen Gefährten, des Hundes und des Schweines, überdrüssig geworden war.
    An Feiertagen nahm sie mich oft mit und lehrte mich viel Nützliches, dann wieder pflegte ich ihr aus meinem Buche vorzulesen und das Gelesene zu erläutern. Sie meinte, sein Inhalt verstehe sich für jeden vernünftigen Menschen von selbst, doch klinge es auf lateinisch sehr weise.
    Im Frühling, wenn das Vieh auf die Weide getrieben wurde und Pater Petrus nach Kräften für sein Gedeihen Vorsorge getroffen hatte, kamen alle klugen Leute zu Jungfer Pirjo, denn sie wußten recht gut, daß diese ihrem Viehstand wohl gewogen sein müsse, sollte nicht den Kühen die Milch versiegen, Kälber tot geboren werden, Lämmer die Beine brechen und Pferde sich in den Sumpf verirren. Dafür gab es so viele vertrauenswürdige Zeugen, daß Jungfer Pirjo von jedem wohlbestellten Hauswesen einen Herdenpfennig einstrich.
    Unter ihren regelmäßigen Besuchern fiel mir bald Meister Laurentius auf, den sie an kalten Winterabenden mit würzigem Glühwein zu traktieren pflegte. Zuweilen brachte er in einem fleckigen Lederbeutel Mundvorrat mit; doch was der Beutel sonst noch enthielt, konnte ich nie entdecken. Er trug ein gesprenkeltes Lederwams und schien immer sehr melancholisch. Jungfer Pirjo redete ihn mit dem Titel »Meister« an, allein ich dachte nie über sein Handwerk nach, bis ich ihn zum erstenmal an der Arbeit sah. Er kam in der Dämmerung und ging nach Einbruch der Dunkelheit, und ich sah ihn nie in der Stadt, obwohl er, nach der aufrichtigen Achtung zu schließen, die Jungfer Pirjo ihm entgegenbrachte, offenbar zu den einflußreichsten Bürgern Abos zählte.
    Ihre Freundschaft war so eng, daß ich anfing, in Meister Laurentius einen treuen Bewunderer zu sehen, der ungeachtet des oft geäußerten Entschlusses Jungfer Pirjos, ihr Leben lang unvermählt zu bleiben, die Hoffnung nicht aufgegeben hatte; das sicherste Zeichen hierfür erblickte ich darin, daß sie ihm den Wein in einem silbernen Becher kredenzte. Ich hatte nichts gegen Meister Laurentius, denn er war immer freundlich, und ich fand an ihm einen ernsten, gesetzten Menschen, der gerne vom Tode sprach und den Vorschriften aus meinem Buche, wie wir uns auf den Abschied von dieser Welt vorbereiten sollten, ein williges Ohr lieh.
    Eines Tages im Frühling, als die Birken Knospen und die Felder zartes Grün angesetzt hatten, gab uns Magister Martinus einen Tag frei, damit wir dem Hängen zweier jüngst gefangener Seeräuber beiwohnen könnten, denn er dachte, wir würden aus diesem Schauspiel Erbauung schöpfen und Nutzen ziehen. Am selben Abend kam Meister Laurentius wieder, und Jungfer Pirjo setzte ihm Wein im silbernen Becher vor. Ich hatte ihn nach der Hinrichtung gegrüßt, trotz der erstaunten Blicke meiner Mitschüler, und als er mich nun wiedersah, rieb er sich verlegen die Hände und wich meinem Blick aus.
    Scheu gestand ich ihm, ich hätte nie gedacht, daß eines Menschen Leben seinem Körper so schnell und leicht entfliehen könne; er nahm meine Worte als Anerkennung seiner Geschicklichkeit und entgegnete: »Du bist ein vernünftiger Junge, Michael – nicht so wie viele andere deines Alters, die auf und davon laufen, wenn sie mich sehen, und sich verstecken oder Steine nach mir werfen. Ihre Eltern sind übrigens nicht besser. In der Schenke muß ich allein sitzen, und alle Heiterkeit hat ein Ende, wenn ich eintrete. Der Henker führt ein einsames Leben, und sein Gewerbe vererbt sich gewöhnlich vom Vater auf den Sohn, wie ich meiner Familie. Sag mir ehrlich, Michael, fürchtest du nicht, mich zu berühren?«
    Er bot mir seine Hand, die ich furchtlos ergriff. Er hielt mich eine Weile so, sah mir in die Augen, seufzte schwer und sprach: »Du bist ein guter Junge, Michael; und wenn du dich in der Schule nicht so gut gehalten hättest, hätte ich dich als Lehrling aufgenommen, denn ich habe keinen Sohn. Das Geschäft des Henkers ist das wichtigste auf der ganzen Welt. Vor ihm müssen Fürsten und selbst Könige das Knie beugen. Ohne ihn ist der Richter machtlos, sein Urteil nichtig. Daher bezahlt man ihn gut, und der Scharfrichter ist selbst in Friedenszeiten seines Unterhalts sicher, denn die Menschennatur ist unverbesserlich und die Verbrechen nehmen nicht ab. In stürmischen Zeiten sind viele reich geworden. Vor allem hat sich die Kunst der Politik als wahre Wohltat für uns erwiesen.«
    Er
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