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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne
Autoren: Mika Waltari
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er gleich meinen, Michaels Vater sei ein gewöhnlicher Seemann, ein Reisiger oder ein Ochsentreiber gewesen und über Euer Ansinnen lachen.«
    »Aber Ihr möchtet doch nicht, daß ich über seine Geburt Lügen erzähle!«
    »Nun redet Ihr Unsinn«, war die verächtliche Antwort. »Pro primo bezeugen des Knaben feingemeißelte Züge, sein seidiges Haar und seine kleinen Hände und Füße, ganz zu schweigen von seinem Verstand, seinen Talenten und seinem guten Benehmen, daß er edler Abkunft ist. Pro secundo ist das Ganze nur eine Frage des richtigen Ausdrucks, der bei hoch und niedrig dasselbe bezeichnet: die Frucht einer sündhaften Handlung – fructus inhonestus et turpis –, ungeachtet des Ranges derer, die sie begehen.«
    Ich griff mir ins Haar, das ungewöhnlich struppig war. Meine Hände waren nicht weich, nicht einmal rein, und ich rieb verlegen meine schmutzigen Beine aneinander.
    »Glaubt mir, o edle und mitleidige Jungfer Pirjo«, fuhr Pater Petrus fort, indem er beschwörend den Humpen schwang, »sucht den Magister Martinus auf und sprecht mit ihm. Wenn Ihr etwa ein großes Stück Tuch entrolltet, groß genug für eine Tunika, einen guten, fetten Räucherschinken hinzufügt und bescheiden mit ein paar Silberstücken klingelt, würde er gewiß auf Eure Bitte hören, wie seltsam sie auch sei. Dann flüstert ihm geheimnisvoll ins Ohr: ›Der Junge ist ein Bastard!‹ Sogleich wird seine Neugier geweckt sein. Gebt Euch den Anschein von Furcht, sagt, Ihr hättet schreckliche Eide geschworen, von der Sache kein Sterbenswörtchen mehr verlauten zu lassen, und Ihr werdet sehen, Magister Martinus wird sich um Michael mehr bemühen als um alle seine anderen Schüler, dieweil der Schinken und das pure Silber für ihn sprechen werden.«
    Diese Worte des Pater Petrus gaben Jungfer Pirjo viel zu denken und riefen selbst in meiner Seele einen schmerzlichen Widerhall wach. An jenem Abend saß sie da und starrte mich länger als gewöhnlich an, das Kinn in die harte Hand gestützt, und murmelte in sich hinein. Ich glaube, Pater Petrus hatte sie überzeugt, daß ich wirklich ein Bastard sei.
5
    In der Domschule war ich der Jüngste und hatte es daher dort schwerer, als es sonst wohl gewesen sein mochte. Neben mir im Stroh saßen viele Jünglinge, denen der Bart schon sproßte und deren schamloses Betragen mehr Liebe zu den Torheiten und Lastern der Welt als zu den lateinischen Deklinationen verriet. Das einzige Lehrmittel, dessen Magister Martinus und seine Hilfslehrer sich bedienen konnten, war die in Salzwasser geschmeidig gemachte Birkenrute, und ich bildete mir zuweilen ein, sie seien über den Körperteil, der für das Lernen am empfänglichsten ist, im Irrtum. Nichtsdestoweniger hat es in der Tat den Anschein, als blieben jene Grammatikregeln, die dem Hinterteil eingebleut wurden, am verläßlichsten im Gedächtnis haften; und irgendwie gewannen wir, je mehr wir lernten, jene düstere Schule lieb, deren gewaltige Steinmauern unsere Jugend einsargten. Wir gelobten einander feierlich, daß auch wir, wenn unsere Zeit käme, unsere Nachfolger nicht schonen würden, und wenn wir beim Bilden unserer eigenen lateinischen Redewendungen merkten, wie die eingebleuten Grammatikregeln gleich gehorsamen Sklaven unseren Gedanken zu Hilfe eilten, so frohlockten unsere Herzen in der Tat.
    Das erhabenste kirchliche Fest, dem ich in jenen Jahren beiwohnte, war die feierliche Beisetzung der Gebeine St. Hemmings in einem Reliquienschrein. Um diese Zeit hatte ich vier Schuljahre hinter mir und bereitete mich mit etwa zehn anderen fortgeschrittenen Schülern auf das Studium der Dialektik vor. Wäre es den Scholaren verstattet gewesen, sich den Bart wachsen zu lassen, so hätten die meisten meiner Kameraden schon stattliche Bärte gehabt.
    Ich muß gestehen, daß mir nicht sonderlich feierlich zumute war, als wir im Dom die Fliesen mit Brechstangen emporwuchteten und begannen, unter dem abscheulichen Fäulnisgestank, der die Kirche trotz des reichlichen Weihrauchs und des Duftes vom arabischen Räucherwerk erfüllte, die heiligen Gebeine auszugraben. Ich hatte mich kurz vorher ausgezeichnet, indem ich Bischof Hemmings Erdenwallen und seine Wunder in Versen gefeiert hatte, und wurde daher der Ehre teilhaftig, seine Gebeine zu exhumieren. Wir fanden sie in großer Anzahl, und während wir sie zum Gesang der Priester wuschen und von allem Unreinen säuberten, durchdrangen uns eine wundersame Stärke und ein Gefühl des Trostes, als hätten
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