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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne
Autoren: Mika Waltari
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die Ohren zu. Dennoch fuhr ich unbekümmert fort und erzählte ihr, daß ich viele Buchstaben lesen und meinen Namen schreiben könnte. Als sie das nicht glauben wollte, nahm ich einen Stock und schrieb, so gut ich konnte, MICHAEL in den Schmutz. Sie konnte nicht lesen, fragte aber, wer mich unterwiesen habe. Niemand, entgegnete ich, aber ich sei überzeugt, ich würde bald lesen lernen, wenn es mich jemand lehren wollte.
    Während wir sprachen, hatte sich der Tag geneigt, und es dunkelte. Sie nahm mich ins Haus, zündete eine Kerze an und begann mit ihren harten Fingern meine Kopfwunde auszudrücken. Sie erzählte mir, sie habe den Riß in meinem Schädel mit Nadel und Zwirn zusammengeflickt; nun aber hatte die Wunde geeitert, und sie badete sie, legte Meltau und Spinnweben darauf und machte mir einen frischen Verband. Sie gab mir zu essen und ließ mich in ihrem Bett schlafen.
    So geschah es, daß ich bei Jungfer Pirjo zu wohnen kam und mich ihr nützlich machte, indem ich den Unrat von schwarzen Hähnen, Haare aus Pferdeschwänzen und von den Hälsen der Widder in den Schafhürden der Bürger sammelte und ihr half, Fundstellen von Heilpflanzen ausfindig zu machen und diese bei Neumond zu pflücken. Aber das wichtigste war, daß Pater Petrus mich auf ihr Ersuchen Schreiben und Lesen lehrte und mich in der Kunst unterwies, viele nützliche Rechenaufgaben mit Hilfe eines Rosenkranzes zu lösen.
4
    Es war, als ob meine Kopfverletzung einen vollkommenen Wandel meines Lebens und Charakters herbeigeführt hätte; das wurde auch nicht anders, als die Wunde heilte und Haar die Narbe verdeckte. Ich blieb auch fürderhin aufgeweckt und wißbegierig, lernte rasch und vergaß, daß ich jemals ein wimmernder Balg gewesen war, der sich scheute, einem Fremden gegenüber den Mund aufzutun. Jungfer Pirjo schlug mich weder, noch schüchterte sie mich ein; sie behandelte mich gut und achtete meine Gaben. Das Lernen, das für viele harte Mühe und Heulen und Zähneknirschen bedeutet, war mir ein fröhliches Spiel, und je mehr ich lernte, um so größer wurde mein Wissensdurst. Ich weiß nicht, woraus ich schließlich mehr lernte: aus Pater Petrus’ frommen Geschichten oder aus Jungfer Pirjos Unterweisungen, wenn sie in hellen Winternächten von den Sternen sprach oder mich an düfteschweren Sommerabenden an der Hand durch Haine und an Flußufern entlangführte und mir erklärte, welches Kraut gegen diese oder jene Krankheit am meisten vermöge. Denn Jungfer Pirjo war als heilkundige Frau bekannt und stand mit der Geistlichkeit und den Klosterbrüdern auf gutem Fuß.
    Zuerst nahm Pater Petrus meinen Unterricht für einen Scherz; als er aber sah, welche Fortschritte ich im Lauf eines einzigen Winters gemacht hatte – obwohl er sich nur ein- oder zweimal die Woche zwischen den Gebetsstunden in Jungfer Pirjos Hütte einfand und selbst dann die meiste Zeit auf Essen und Trinken verwendete –, begann er, mit seiner Gastgeberin ernsthaft zu reden und meinte zu ihr, ich solle lieber ins Kloster oder in die Domschule eintreten, so daß ich als Schüler von Pater Martin Grammatik, Rhetorik und Dialektik nach den Regeln dieser Künste studieren könnte.
    »Im Namen der Jungfrau und aller Heiligen!« rief er aus, indem er sich mit seinem schwarzen Ärmel das Fett von den Lippen wischte. »Wenn ich einen Sohn hätte wie Michael – was die lieben Heiligen verhüten mögen! –, so würde ich ihn unverzüglich auf die Schulbank setzen, in der Gewißheit, daß er zu seiner Zeit der Kirche Ehre machen würde. Er könnte Kanonikus, ja sogar Bischof werden, denn er kann jetzt schon das Paternoster und Ave auswendig und beherrscht die lateinischen Zahlwörter geläufig bis zwanzig, und viel weiter komme auch ich nicht.«
    Er nahm einen Schluck Wein und pries dessen erfrischende und herzstärkende Wirkung.
    Aber Jungfer Pirjo wandte ein: »Ihr vergeßt, Pater Petrus, daß Michael allein in der Welt steht und unehrlicher Abkunft ist. Die Kirche stellt keine Hurenbälger in ihren Dienst. Und was sollte ihn das Lernen freuen, wenn er nicht geweiht werden könnte?«
    »An Eurer Stelle würde ich das gelehrte und schickliche Wort ›Bastard‹ gebrauchen«, bemerkte Pater Petrus. »Dieses Wort deutet auf edle Abkunft, und wer es hört, wird sogleich versuchen, sich all die edlen Herren und Legaten ins Gedächtnis zu rufen, die Abo in den letzten Jahren besucht haben. Wenn Ihr aber Pater Martin sagt, der Knabe sei ein gewöhnliches Kind des Zufalls, so wird
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