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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne
Autoren: Mika Waltari
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die Zahl meiner Gebete entsprechend erhöhen.«
    Ich verstand zwar nicht alles, was er sagte; allein er sprach so überzeugend, daß ich wußte, ich hatte meine Sache in die besten Hände gelegt, und ich dankte ihm, bescheiden. Er schloß die Tür notdürftig, als wir das Haus verließen, schlug viele Male das Kreuzzeichen und segnete mich. Dann schieden wir, und ich kehrte zu Jungfer Pirjos Hütte zurück und trieb mich dort herum, weil ich nicht wußte, wohin ich sonst hätte gehen sollen.
    Ich fürchtete, Jungfer Pirjo würde zornig sein, wenn sie mich sähe, denn ich hatte sie schon als strenge Frau kennengelernt. So versteckte ich mich; als es aber zu regnen begann, kroch ich in den Kuhstall. Dessen Mauern waren mit Moos überwachsen, auf dem Dach wuchsen Gras und Blumen, und sein einziger Bewohner war ein Schwein. Wie ich so dessen fette Schultern betrachtete, packte mich ein heftiger Neid auf dies Tier, das ein Dach über dem Kopf hatte und sich um Fressen und Saufen nicht zu sorgen brauchte. Ich schlief auf dem Stroh ein und fand beim Erwachen das Schwein neben mir. Da lagen wir nun Seite an Seite, um einander warmzuhalten. Jungfer Pirjo kam mit einem Eimer voll Schweinetrank herein und war sehr erbost, mich dort zu finden.
    »Sagte ich dir nicht, du solltest verschwinden?« rief sie. Das Schwein versetzte mir einen freundschaftlichen Stoß mit dem Rüssel und erhob sich, um zu fressen. Der Fraß bestand aus Erbsenschoten, gehackten Rüben, Milch und Hafergrütze. Schüchtern fragte ich, ob ich mithalten dürfte, wenn das Schwein nichts dagegen hätte. Diese Bitte brachte ich nicht so sehr vor, weil ich hungrig war – ich war viel zu niedergeschlagen, um den Hunger zu verspüren –, sondern weil mich das Abendbrot des Schweins würziger deuchte als alles, was ich im Hause meiner Großeltern seit langem gegessen hatte.
    »Du undankbarer, unverschämter Bube! Willst du etwa sagen, ich sollte Mitleid lernen vom Schwein, das dich an seinem Busen wärmt und seinen Trank mit dir teilt? Hab’ ich dir nicht drei Silberstücke gegeben? Für diesen Betrag kann selbst ein Erwachsener Bett und Tisch etwa für einen Monat finden! Ein Bürger oder ein Mitglied einer Gilde würde dich ein Jahr beherbergen und dich in die Lehre nehmen, wenn du ihn höflichst bittest. Warum machst du dir dein Geld nicht zunutze?«
    Ich erzählte ihr, das hätte ich schon getan und meine Silberlinge Pater Petrus gegeben, auf daß er für die Seelen meiner Großeltern beten und sie von den Qualen des Fegefeuers erlösen möge. Jungfer Pirjo saß auf der Schwelle des Schweinestalles, eine Hand auf dem Futtertrog, die andere unter ihrem langen Kinn, und starrte mich lange an.
    Schließlich fragte sie: »Bist du von Sinnen?«
    Ich antwortete, ich wüßte es kaum. Niemand hätte es mir gesagt, aber seit meiner Kopfverletzung sei mir das Leben gar seltsam und verwirrend erschienen.
    Jungfer Pirjo nickte.
    »Ich könnte dich ins Hospital zum Heiligen Geist bringen, wo sie dich zusammen mit allen anderen Verkrüppelten und Blinden und Fallsüchtigen aufnehmen könnten – denn sie werden dich ohne Zweifel für verrückt halten, wenn sie dich reden hören. Aber wenn du den Schnabel halten und klug dreinschauen kannst, so könnte ich vielleicht mit den Zunftbrüdern Michaels des Blechschmieds ein Wörtlein reden und sie bewegen, für deinen Unterhalt zu sorgen, bis du alt genug bist, ihn selbst zu verdienen.«
    Ich bat sie um Vergebung für meine unfertigen Reden; ich hatte noch mit keinem Menschen viel gesprochen, denn wenn Michael der Blechschmied sprach, hieß es schweigen und zuhören, und wenn meine Großmutter redete, dann nur von den Folterqualen der Hölle und den Schrecknissen des Fegefeuers, und von diesen Dingen wußte ich so wenig, daß ich ihr nicht Rede und Antwort stehen konnte.
    »Aber«, so setzte ich hinzu, »ich kenne viele deutsche und schwedische und sogar lateinische Wörter.«
    Ich brannte darauf, vor Jungfer Pirjo mit meinen Kenntnissen zu prahlen, denn noch niemand hatte so freundlich mit mir gesprochen; so plapperte ich denn all die fremdländischen und geheimnisvollen Wörter her, die mir aus irgendeinem Grunde im Gedächtnis haftengeblieben waren: Wörter aus der Kirche, aus den Häusern der Kaufleute, aus Gildenversammlungen und aus dem Hafen, als da waren: salve, pater, benedictus, male Spiritus, pax vobiscum, Haltsmaul, Arsch, Donnerwetter, sangdieu und heliga kristus. Als ich atemlos innehielt, hielt Jungfer Pirjo sich
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