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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore
Autoren: Jack London
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unsagbarer Weisheit und Güte seinen Lippen entströmen zu hören. Aber er sprach nur in den alltäglichsten Worten sein Bedauern über die Verzögerung aus, wenn auch mit einer Stimme, die neues Erstaunen in mir hervorrief. Sie war leise und sanft, fast zu gedämpft, aber klar wie eine Glocke.
    »Und hier ist die junge Dame, die die Verspätung veranlaßt hat«, fügte er hinzu, indem er mich seiner Tochter vorstellte, »Margaret… Herr Pathurst.«
    Ihre behandschuhte Rechte tauchte sofort aus dem Muff auf, um die meine zu schütteln, und gleichzeitig sah ich ein Paar grauer Augen, die mich mit ernstem, ruhigem Blick betrachteten. Er verwirrte mich, dieser kühle, durchdringende, prüfende Blick. Nicht, daß er herausfordernd gewesen wäre, aber er schien mir beleidigend, geschäftsmäßig. Er erinnerte an den Blick, womit man einen neuen Diener mißt, den man anstellen will. In diesem Augenblick wußte ich noch nicht, daß sie die Reise mitmachen sollte und daß daher ihre Neugierde einem Manne gegenüber, mit dem sie ein halbes Jahr zusammen verbringen sollte, ganz natürlich war.
    Doch als sie zu sprechen begann, lag ihr ein freundliches Lächeln um Mund und Augen.
    Als wir uns anschickten, in die Kajüte des Schleppers zu treten, hörte ich das ängstliche Winseln Possums zu lautem Heulen werden und ging deshalb nach vorn, um Wada zu befehlen, das kleine Tier mit in die Wärme zu nehmen. Ich fand ihn mit meinem Gepäck beschäftigt – er legte gerade mein kleines automatisches Gewehr unter die Toilettentasche, damit es nicht umfalle. Ich war aber ganz erschrocken, als ich ein wahres Gebirge von Koffern entdeckte, mit dem verglichen mein eigenes Gepäck nur eine Kleinigkeit war. Die Buchstaben auf einem Gegenstand, der eine verdächtige Ähnlichkeit mit einer Damenhutschachtel hatte, fielen mir auf: »M. W.« Kapitän West hieß aber mit Vornamen »Nathaniel«, und als ich genauer hinsah, entdeckte ich, daß es freilich einzelne Stücke mit den Buchstaben »N. W.« gab, sonst aber überall nur die Buchstaben »M. W.« – und dann fiel mir plötzlich ein, daß er seine Tochter »Margaret« genannt hatte.
    Ich war zu aufgebracht, um gleich in die Kabine zurückzukehren, und ging deshalb trotz der Kälte an Deck auf und ab, während ich mir ärgerlich die Lippen zerbiß. Ich hatte doch ausdrücklich mit den Vertretern ausgemacht, daß die Frau des Kapitäns nicht mitkommen durfte, denn das letzte, das ich mir in Anbetracht des ohnehin beschränkten Raumes auf einem Schiffe wünschte, war die Anwesenheit einer Frau. An eine Tochter des Kapitäns hatte ich natürlich keinen Augenblick gedacht. Ich war drauf und dran, die ganze Reise aufzugeben und mit dem Schlepper nach Baltimore zurückzukehren.
    Als der kalte Wind mich gründlich durchgeweht hatte, sah ich Fräulein West über das schmale Deck kommen, und unwillkürlich fiel mir ihr federnder, lebenskräftiger Gang auf. Ihr Gesicht wirkte zart, es stand in einem gewissen Gegensatz zu ihrem, nach ihrem Gang zu schließen, kräftigen Körper.
    Ich drehte mich um und betrachtete verdrießlich das Gepäckgebirge. Eine riesige Kiste erregte meine Aufmerksamkeit, als ich hinter mir die Stimme Fräulein Wests hörte.
    »Das ist der eigentliche Anlaß unserer Verspätung«, sagte sie.
    »Was ist es denn?« fragte ich gleichgültig.
    »Das Klavier der Elsinore – es mußte repariert werden. Als ich mich zum Mitfahren entschloß, telegraphierte ich Herrn Pike – das ist unser Steuermann, wie Sie vielleicht wissen. Er tat, was er konnte – es war Schuld der Klavierfirma.«
    Sie begann unter dem Gepäck zu suchen, als wollte sie einen bestimmten Gegenstand finden. Als sie ihren Zweck erreicht hatte, schritt sie weiter, blieb aber plötzlich stehen und sagte: »Wollen Sie nicht mit in die Kajüte kommen? Dort ist es schön warm. Und es dauert mindestens eine halbe Stunde, bis wir an Bord der Elsinore sind.«
    »Wann haben Sie sich eigentlich zum Mitfahren entschlossen?« fragte ich plötzlich.
    Der schnelle Blick, den sie mir zuwarf, zeigte mir, daß sie in diesem Augenblick erkannt hatte, wie aufgebracht und ärgerlich ich war.
    »Vor zwei Tagen«, antwortete sie. »Weshalb?«
    Die Schnelligkeit ihrer Entgegnung verblüffte mich, und ehe ich antworten konnte, sagte sie: »Nun sollen Sie aber nicht allzu böse sein, weil ich mitgekommen bin, Herr Pathurst. Ich weiß, daß wir es alle recht schön gemütlich haben werden. Sie werden mich nicht stören, und ich verspreche
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