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Meuterei auf der Deutschland

Meuterei auf der Deutschland

Titel: Meuterei auf der Deutschland
Autoren: Klecha Walter Hensel
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wichtigste persönliche Motiv der Parteigründer war jedoch ein über die Jahre gewachsener politischer Überdruss. Die meisten von ihnen hatten sich schon länger in privaten und beruflichen Kontexten für Computertechnik, Internetkultur und deren politische Implikationen interessiert. Auf der Grundlage ihrer fachlichen Expertise hatten sie sich über die oftmals krude und inkompetent wirkende Gesetzgebung in den Bereichen Netzpolitik und Urheberrecht – je nach Temperament – mokiert oder echauffiert; außerdem waren sie angesichts der Auswirkungen der Sicherheitsgesetzgebung auf die Infrastruktur des Internets beunruhigt. In dieser Situation genügte der Impuls der Gründung der schwedischen Piratenpartei, um sich hierzulande politisch in Bewegung zu setzen. Viele der frühen Piraten verstanden ihr Engagement dabei allerdings zunächst als einen Akt der Notwehr. Sie sahen ihre Aufgabe weniger darin, dauerhaft und weitflächig in der politischen Arena mitzuspielen. Vielmehr offenbarten sie das typische Selbstverständnis sozialer Bewegungen: Die etablierten Politiker sollten in Sachen Netzpolitik in erster Linie korrigiert und von reglementierenden Eingriffen abgehalten werden.
    Betrachtet man den politischen und biografischen Hintergrund der Gründerpiraten, fallen sozialstrukturelle und kulturelle Gemeinsamkeiten ins Auge, die Gesicht und Charakter der Partei in ihrem Kern bis heute prägen. Bereits die Parteigründer waren überwiegend männlich, vornehmlich jung, aber nicht mehr unbedingt jugendlich und wiesen eine starke berufliche oder private Affinität zu Computer- und Internetthemen auf. Konzepte wie Open Source und Open Access sowie die Forderungen nach einer Reform des Urheberrechts, nach freier Kommunikation und Datenschutz waren vielen aus ihrem beruflichen Alltag vertraut. Zudem hatten sich die wenigsten von ihnen zuvor in größeren, festen Organisationen politisch engagiert, lediglich in Einzelfällen hatten sie sich politischen Initiativen angeschlossen, mit Partnern kooperiert, Projekte angefangen oder beendet.
    Zu den in diesem Feld aktiven Gruppen zählten neben dem erst 2005 gegründeten Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ältere Organisationen wie der Chaos Computer Club und der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs. Hinzu kamen die angesprochenen, eher transnational agierenden Organisationen im Bereich des Urheberrechts (Dobusch/Gollatz 2012). Wie einst bei den Grünen mündete also auch hier ein kollektiver Lernprozess in die Gründung einer Partei. Das Band zwischen den Umfeldnetzwerken und der Partei selbst ist aber nicht immer allzu fest, was auch damit zusammenhängt, dass die Kommunikations- und Organisationsweise in der Internetkultur flexibler und unverbindlicher ist als gewöhnliche Parteistrukturen. Daneben scheinen die Piraten eine aktivierende Wirkung auf zuvor politisch zwar interessierte, parteipolitisch jedoch heimatlose und deshalb weitgehend inaktive Menschen gehabt zu haben. Nicht wenige der technisch und naturwissenschaftlich versierten Mitglieder artikulieren damit zudem das diffuse Bedürfnis, eine in ihrer Jugend verpasste Revolte irgendwie nachzuholen. Jenseits eines allgemeinen politischen Interesses konnte man sich aber nicht so recht in die Orientierungsmuster der Moderne einordnen. Die Linke wirkte kulturell fremdartig und wurde als unmodern empfunden, der Konservatismus war anachronistisch, und der Wirtschaftsliberalismus erschien politisch als zu oberflächlich.
    Aktiviert durch die Nachrichten über die ersten Erfolge der schwedischen Piraten, vernetzten sich die späteren Gründer des deutschen Ablegers ab Juni 2006 über die Seite www.piratenpartei.de, wo man in einem Forum über die Parteigründung diskutierte. Wie in kooperativen Netzprojekten gemeinhin üblich, wurden relativ schnell die wichtigsten Grundlagen erarbeitet: Man trug Informationen über die rechtlichen Anforderungen zusammen, formulierte erste Programmentwürfe und bereitete das Gründungstreffen vor. Auf einer Versammlung in Darmstadt, an der etwa 20 Personen teilnahmen, wurden die Planungen vertieft (Gürbüz 2011, S. 35 f.). Die formale Gründung erfolgte schließlich im Berliner Club c-base, einem beliebten Treffpunkt für Hacker, Netzaktivisten und andere digitalkulturell orientierte Gruppen. Die Partei beschloss ihre Satzung und wählte den ersten Vorstand mit Christof Leng an der Spitze und Jens Seipenbusch als Stellvertreter. Im
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