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Meuterei auf der Deutschland

Meuterei auf der Deutschland

Titel: Meuterei auf der Deutschland
Autoren: Klecha Walter Hensel
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den etablierten Akteuren gnadenlos zurückgedrängt. Auch ihr programmatisches Alleinstellungsmerkmal schien ihnen abhandenzukommen, als der neugewählte Bundestag eine Enquete-Kommission zur Netzpolitik einrichtete und die Alt-Parteien durch neu installierte Arbeitskreise und Sachverständigengremien eifrig zu signalisieren versuchten, dass man den Piraten das Feld nicht kampflos überlassen wollte. Bis hinauf zu den Geschäftsführern der Bundestagsfraktionen begannen etliche Abgeordnete, verstärkt digitale Kommunikationsmittel wie Twitter oder Facebook zu nutzen. Und schließlich hob die neue Mehrheit auf Druck der FDP sogar das Zugangserschwerungsgesetz auf.
    Dass sie ihren Resonanzboden vorläufig eingebüßt hatten, dämmerte den Piraten spätestens bei der nächsten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. An Rhein, Ruhr und Weser konnten sie im Mai 2010 in absoluten Zahlen gegenüber der Bundestagswahl nicht zulegen, selbst der Stimmenanteil im Land konnte nicht gesteigert werden. Die Partei hing bei unter zwei Prozent fest.
    Die Stabilität der Ergebnisse bei den folgenden Wahlen zeigte allerdings auch, dass die Piraten zu diesem Zeitpunkt bereits über eine recht verlässliche Wählerklientel verfügten. Mit rund zwei Prozent der Stimmen in Hamburg, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern schien sich die Partei konsolidiert zu haben. Dieser konstante und in der Fläche relativ ausgeglichene Erfolg war erstaunlich, denn noch bei den Europawahlen 2009 hatte man vornehmlich an Hochschulorten mit Fachbereichen für Informatik, Mathematik und Naturwissenschaften reüssiert (Blumberg 2010, S. 15 f.). Größere Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen ließen sich ab dem sogenannten Superwahljahr 2011 kaum noch feststellen. Die Piraten waren nun praktisch flächendeckend zur größten Kleinpartei aufgestiegen, lediglich vereinzelt machten ihnen Rechtsradikale diesen Rang streitig. Sowohl vom Wähler- als auch vom Mitgliederpotenzial her gehörte man nun zum Kreis derjenigen Kleinparteien, denen man kommunale Achtungserfolge zutrauen musste und die bei Landtagswahlen zumindest Außenseiterchancen hatten.
    Das Wachstum brachte indes neue Herausforderung mit sich: Die kulturelle und ideologische Pluralisierung der Mitgliedschaft ließ den harten Identitätskern der Gründerkohorte bröckeln. Hinzu kamen erste Ansätze einer Flügelbildung und das für Kleinstparteien typische Problem, dass sich radikale Minderheiten, notorische Querulanten und exaltierte Propheten von ihnen angezogen fühlen (van den Boom 1999, S. 221). Als die mediale Aufmerksamkeit abflachte und der Rausch rascher Wahlerfolge verflog, fieles außerdem zunehmend schwerer, die Mitglieder von den Mühen der Ebene zu überzeugen und an die Routinen der alltäglichen, ehrenamtlichen Parteiarbeit zu gewöhnen. Insbesondere der Organisationsmodus der teildigitalen Basisdemokratie erschwerte den von einer Mehrheit angestrebten Prozess der weiteren inhaltlichen Konsolidierung und Diversifizierung. Die Piratenpartei geriet so zunehmend in ein Dilemma: Auf der einen Seite war das der identitätsstiftende Anspruch auf basisdemokratische Strukturen, auf der anderen der auch von außen formulierte Wunsch nach einer programmatischen Entwicklung. Der Bundesparteitag im Mai 2010 in Bingen etwa zog sich aufgrund der schieren Antragsfülle, der unkoordinierten Plenumsäußerungen sowie langwieriger Satzungsdiskussionen derart in die Länge, dass die Debatte über eine programmatische Neuausrichtung verschoben werden musste (Gürbüz 2011, S. 47). Es fehlte ein effektives Instrument, um die vielfältigen und verstreuten Diskussionen online wie offline zu verdichten und zur Vorbereitung der Beschlussfassung zu bündeln.
    Hieraus zogen die Piraten zwei Konsequenzen. Zum einen werden seit 2010 jährlich zwei Parteitage abgehalten. Auf einem wählen die Piraten ihren Vorstand und diskutieren ausgiebig Fragen der Satzung und Organisation; inhaltliche Debatten und Entscheidungen finden dort meist nur am Rande statt. Solche Auseinandersetzungen stehen dafür im Mittelpunkt des zweiten Parteitags. Zum anderen beschloss man, die von den Berliner Piraten entwickelte Onlineplattform LiquidFeedback bundesweit zur Vorbereitung zu nutzen (ebd., S. 47). Die Partei folgt dabei einem Ansatz, der die Teilhabe aller Mitglieder mithilfe des Internets sicherstellen soll. Mit diesem System ist es möglich, Anträge zu schreiben, zu diskutieren, zu verändern
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