Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition)
Autoren: Chris Beckett
Vom Netzwerk:
inzwischen für mich empfand oder was für eine Art Beziehung zwischen uns beiden denkbar war. Dafür hatte ich aber zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, dass es mir zumindest möglich sein würde, Freude an irgendeiner Form von Intimität mit einem anderen Menschen zu haben.

    Und dann kam Alec (der ältere der beiden griechischen Gehilfen der Maschine) mit überraschenden Neuigkeiten zu mir: In Illyrien hatte es einen Staatsstreich gegeben. Elemente der Doppel-O und die Streitkräfte hatten Präsident Kung gestürzt und versprachen nun allgemeine Wahlen, bei denen alle ständigen Einwohner Illyriens eine Stimme haben sollten. Der AMG hatte man Amnestie zugesichert, und die Verfassung sollte einen Zusatz erhalten, der weitgehende Religionsfreiheit garantierte. Darüber hinaus hatte die neue Regierung verlautbaren lassen, dass sie ein Friedensabkommen mit der Heiligen Allianz unterzeichnen wollte, und hatte als Zeichen ihres guten Willens bereits einen unilateralen Waffenstillstand ausgerufen.
    Ich war natürlich ziemlich baff. Rückblickend behaupten heute alle, dass der Wechsel unausweichlich gewesen wäre und dass der illyrische Staat es sich niemals auf Dauer hätte leisten können, länger gleichzeitig mit äußeren Feinden und mit seinem eigenen Gastarbeiterproletariat Krieg zu führen. Aber damals kam es mir unglaublich vor, dass etwas so Mächtiges und so Gefestigtes mit einem Mal in sich zusammengestürzt war. Und es war sogar noch schwerer, mir klarzumachen, dass ich nun in meine Heimat zurückkonnte – das war etwas, das ich dauerhaft für vollkommen unmöglich gehalten hatte.
    Zum ersten Mal seit Wochen dachte ich auch schuldbewusst an Ruth.
    Anstatt also nach Montenegro zurückzukehren, beschloss ich, Marija zu schreiben und ihr vorzuschlagen, sich mit mir in Illyria City zu treffen.

    Die Maschine hatte ihre eigene Zelle, die abgesehen von einem Stuhl und einem Pult unmöbliert war. Wenn sie nicht gerade draußen predigte, saß sie dort Tag und Nacht und las. Die Wände der Zelle verdeckten Regale voller Bücher, die sie von wohlwollenden Spendern erhalten hatte. Es gab Bücher über Theologie, über Geschichte, über Biologie, über Kybernetik, über Philosophie und auch eine abstruse Auswahl anderer Texte, die man ihr allein deshalb gegeben hatte, weil sie in unserer Sprache verfasst waren: Bestseller-Thriller, Traktate der Siebenten-Tags-Adventisten, Gebrauchsanweisungen für veraltete Autos, Reiseführer, Comics, sogar ein Pornoheft voller Eselsohren.
    Doch als ich in Gesellschaft von Alec die Zelle betrat, starrte die Maschine ins Leere.
    Ich sagte ihr, dass ich gekommen war, um mich zu verabschieden.
    Sie wandte mir die Augen zu.
    »Danke«, sagte sie.
    »Ja«, meinte Alec. »Ohne dich wäre der Heilige immer noch ein Automat in diesem Syntec-Haus in Illyria City, würde von Männern missbraucht werden und müsste sich alle sechs Monate das Gedächtnis löschen lassen.«
    Ich kann nicht behaupten, dass ich darauf besonders stolz gewesen wäre. Ich fragte mich, wie ich jemals sexuelle und romantische Fantasien über dieses seltsame, insektenartige und letztlich völlig asexuelle Wesen hatte haben können.
    »Das hast du gut gemacht«, sagte ich zu der Maschine. »Es ist erstaunlich, wie weit du gekommen bist.«
    Die Maschine musterte mich. Sofort kamen mir meine Worte albern vor. Sie brauchte kein Selbstwertgefühl. Sie brauchte keine persönlichen Bindungen. Sie verband keine besonderen Gefühle mit dem Abschiednehmen. Zweifellos hatte sie ein Bewusstsein. Zweifellos lebte sie. Aber sie hatte ganz andere Prioritäten als ein menschliches Wesen.
    »Du auch«, stellte sie fest.

Kapitel 71
    I ch kehrte zu den Glastürmen von Illyrien zurück, wo nach wie vor silberne Riesen unter der schwarz-weißen Fahne des Auges auf den Straßen patrouillierten (obwohl man darüber diskutierte, das Motiv auf unserer Fahne durch etwas weniger Provokatives und Feindseliges zu ersetzen). Ich spazierte am Ufer entlang, vorbei an den VR-Spielhallen, blickte übers Wasser zum Leuchtturm und schaute den Leuten dabei zu, wie sie auf den Brücken, die ihn mit dem Festland verbanden, hin- und herliefen. Ich schlug den direkten Weg nach Faraday ein, zu unserer alten Wohnung. Als ich zum Fahrstuhl ging, rief die Hauswärtin mir zu: »Entschuldigen Sie, kann ich Ihnen helfen?«
    Es war ein puppenartiger Plastec, seinem Vorgänger Shirley, den ich an einem Galgen in Ioannina gesehen hatte, nicht unähnlich. Es kam mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher