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Merlin und der Zauberspiegel

Merlin und der Zauberspiegel

Titel: Merlin und der Zauberspiegel
Autoren: Thomas A. Barron
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Fliegen gelernt. Ihre Landungen sind noch ein bisschen
     ungeschickt.«
    »Ein bisschen ungeschickt!«, rief ich aufgebracht. »Sie hätte mich töten können!«
    Ich ging zu meinem Stock, der im Gras lag, und schwenkte ihn vor dem Gesicht des Drachen. »Du bist so schlimm wie ein betrunkener
     Riese. Nein, schlimmer! Er würde wenigstens mit der Zeit einschlafen. Du wirst nur täglich größer und ungeschickter.«
    Gwynnias Augen, die wie Lava glühten, verengten sich leicht. Tief aus ihrer Brust kam ein Dröhnen, das stetig anschwoll. Plötzlich
     versteifte sie sich und hob den Kopf, als würde das Geräusch sie irritieren. Dann, als das Dröhnen verklang, öffnete sie die
     gewaltigen zahnbesetzten Kiefer und gähnte anhaltend.
    »Sei froh, dass sie noch nicht gelernt hat, wie man Feuer speit«, warnte Hallia. Rasch setzte sie hinzu: »Obwohl ich überzeugt
     bin, dass sie es nie gegen einen Freund verwenden würde.« Sie kratzte den Rand des widerspenstigen Ohrs. »Nicht wahr, Gwynnia?«
    Der Drache stieß ein lautes Schnauben aus. Dann hob sich am anderen Ende der Wiese das stachlige Schwanzende, rollte sich
     zusammen und kam schnell näher. Graziös wie ein Schmetterling ließ sich die Schwanzspitze auf Hallias Schulter nieder. Dort
     lag sie, purpurrote Schuppen auf purpurrotem Tuch, und drückte sanft die Schulter.
    Ich wischte den Schlamm von meiner Tunika undseufzte ärgerlich. »Es ist schwer, euch beiden lange böse zu sein.« Ich schaute in eins der hellen Drachenaugen. »Verzeih
     mir, bitte. Ich habe nur einen Augenblick vergessen, dass du dich nie weit von Hallia entfernst.«
    Die junge Frau wandte sich mir zu. »Für einen Augenblick«, sagte sie leise, »habe ich es auch vergessen.«
    Ich nickte traurig. »Dich trifft keine Schuld.«
    »Oh doch.« Sie streichelte die goldenen Schuppen des stachligen Schwanzes. »Als ich ihr abends all die Lieder vorsang, die
     ich als Kind gelernt hatte, kam mir nie in den Sinn, dass sie so anhänglich werden würde.«
    »Oder so groß.«
    Hallia lächelte beinahe. »Wahrscheinlich hätten wir nie zulassen dürfen, dass Cairpré ihr einen so gewichtigen Namen aus den
     alten Drachensagen gab, wenn wir nicht darauf vorbereitet waren, dass sie ihm eines Tages gerecht werden würde.«
    »Das stimmt – der Name der ersten Drachenkönigin, Mutter der ganzen Gattung.« Ich nagte an meiner Lippe und erinnerte mich
     an die alte Legende. »Sie setzte ihr Leben aufs Spiel, als sie das Feuer eines großen Vulkans schluckte, damit sie und alle
     ihre Nachkommen ebenfalls Flammen speien konnten.«
    Bei diesen Worten öffnete Gwynnia weit das Maul und gähnte wieder, diesmal so laut, dass wir uns die Ohren zuhalten mussten.
     Als sie endlich ausgegähnt hatte, sagte ich: »Es sieht so aus, als müsste die Königin ein Nickerchen machen.« Hoffnungsvoll
     flüsterte ich: »Vielleicht können wir unser Gespräch doch noch beenden.«
    Hallia nickte, auch wenn sie unbehaglich hin und her rutschte. Doch bevor sie etwas sagen konnte, durchbrachein neues Geräusch die Stille. Es war ein durchdringender, jammervoller Schrei – ein Laut, der nur von einem Geschöpf im Todeskampf
     kommen konnte. Oder, genauer, von einem Geschöpf, für das selbst der Tod eine Erlösung wäre.

II
DER BALLYMAG
    D ie Schmerzensschreie aus der Richtung des Bachs hielten an. Ich packte meinen Stock und rannte gefolgt von Hallia durchs Gras.
     Der junge Drache schaute uns schläfrig nach, während er die riesige Nase am Flügel rieb. Noch bevor ich das Ufer erreicht
     hatte, merkte ich, dass das Geschrei – so laut, dass es das Rauschen und Plätschern des Wassers auf den Steinen übertönte
     – von einer Biegung stromaufwärts kam. Hallia und ich liefen zu der Stelle und schoben den gelben Stechginster zur Seite,
     der am Wasserrand wuchs.
    Das sonderbarste Geschöpf, das ich je gesehen hatte, kämpfte sich das lehmige Ufer hinauf. Sein Körper war dunkel, rundlich
     und glatt, den Seehunden von Fincayras Westküste ähnlich, aber viel kleiner. Außerdem hatte es den langen Schnurrbart und
     die tiefen, traurigen Augen eines Seehunds. Doch statt der Flossen hatte dieses Geschöpf Arme, drei auf jeder Seite. Diese
     dünnen, knochigen Arme endeten jeweils in zwei einander gegenüberliegenden Klauen wie denen einer Krabbe. Von dem gut gepolsterten
     Bauch hing ein Netz aus grünlichem Gewebe – vielleicht ein Beutel   –, während auf dem Rücken eine Reihe langer zarter Schwänze wuchs, jeder fest
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