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Merlin und der Zauberspiegel

Merlin und der Zauberspiegel

Titel: Merlin und der Zauberspiegel
Autoren: Thomas A. Barron
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auf die tiefsten Fleischschichten, wo das Gewebe am schlimmsten
     zerrissen war. Zugleich atmete ich tief ein. Ich stellte mir vor, dass sich meine Lungen nicht mit Luft, sondern mit Licht
     füllten – mit dem warmen, wohltuenden Licht der Sommersonne. Hier, im gelobten Land der Hirschmenschen, wo Hallia und ich
     so frei umhergestreift waren – und es wieder tun würden, davonwar ich überzeugt. Allmählich überströmte das Licht mich ganz, floss in die Schultern, lief durch die Arme, strahlte durch
     die Fingerspitzen.
    Während das heilende Licht in die Wunde des Ballymags strömte, entspannte sich sein Körper bis zu den Schnurrbarthaaren. Plötzlich
     stöhnte er wieder. Aber dieses Stöhnen war anders, es klang nicht schmerzlich, sondern überrascht – vielleicht sogar erfreut.
     Aber da ich wusste, wie viel schwierige Arbeit noch vor mir lag, blickte ich ihn grimmig an. Sofort wurde er ruhig.
    Ich richtete das Licht auf das versehrte Fleisch. Wie ein Barde die Saiten einer zerbrochenen Harfe neu spannt, nahm ich mir
     einen Gewebestrang nach dem anderen vor, band und festigte ihn sorgfältig und prüfte die Stärke von jedem, bevor ich weitermachte.
     An einer Stelle fand ich ein Gewirr zerrissener Sehnen, die fast bis auf den Knochen zerschnitten waren. Ich badete sie eine
     Zeit lang in Licht, nur um sie voneinander zu trennen. Schließlich entwirrte ich sie, fügte das Gewebe wieder zusammen, brachte
     es vorsichtig zu Kräften und stellte es wieder her. Schicht um Schicht arbeitete ich mich in der Wunde hoch und kam langsam
     der Oberfläche näher.
    Mehrere Minuten später hob ich die Hände. Das schwarze Fell des Ballymags glänzte glatt und unversehrt. Erschöpft lehnte ich
     mich ans Ufer und legte den Kopf an eine Ginsterwurzel. Der blaue Himmel leuchtete durch die gelben Blüten über meinem Kopf.
    Endlich setzte ich mich auf und klopfte dem Ballymag leicht auf die Flanke. »Nun«, sagte ich seufzend, »du hast Glück. Ich
     habe beschlossen dich doch nicht zu kochen.«
    Die weit geöffneten Augen des Geschöpfs wurden noch größer. Aber es sagte nichts.
    »Es ist wahr, armer Kerl. Ich wollte dir nie etwas tun, aber das war die einzige Möglichkeit, dich ruhig zu bekommen.«
    »Du spielscherzt mit mir«, stöhnte der Ballymag und wand sich auf meinem Schoß. »Du machst dich über mich kicherlustig.«
    Hallia schaute mich liebevoll an. »Jetzt glaubt er dir nicht. Aber mit der Zeit wird er dir vertrauen.«
    »Kommt nullnicht in Frage!« Der Ballymag entrollte plötzlich mehrere seiner Schwänze, wickelte sie um einen Stein, der aus
     der Ufererde hervorragte, und entwand sich meinem Griff. Mit einem Platsch landete er im seichten Wasser zu meinen Füßen.
     Er wirbelte mit den sechs Armen und schwamm in rasendem Tempo stromabwärts. Im Nu hatte er die Biegung umrundet und war verschwunden.
    Hallia rieb sich das schmale Kinn. »Man kann getrost sagen, dass du ihn geheilt hast, junger Falke.«
    Ich schaute hinüber zu meinem Schatten, der in einer hoffnungslos unverschämten Stellung neben mir im Schlamm hockte. »Schön,
     dass ich wenigstens etwas hinkriege.«
    Sie bückte sich unter einen Zweig und setzte sich so anmutig wie eine aufblühende Blume neben mich. »Ich glaube, Heilen unterscheidet
     sich von anderer Magie.«
    »Wie das?«
    Nachdenklich rollte sie einen Zweig zwischen den Fingern, dann warf sie ihn ins strömende Wasser. »Ich bin mir nicht ganz
     sicher. Aber der Heilzauber scheint mehrvon innen zu kommen – aus deinem Herzen vielleicht oder von einer noch tieferen Stelle.«
    »Und andere Arten von Magie?«
    »Von, nun, von außerhalb von uns.« Sie wies auf den blauen Himmel. »Von irgendwo dort draußen. Diese Kräfte erreichen uns
     und fließen manchmal durch uns, aber sie gehören nicht wirklich zu uns. Man gebraucht sie mehr wie ein Werkzeug – wie einen
     Hammer oder eine Säge.«
    Ich zog mir einen schlammverkrusteten Zweig aus den Haaren. »Ja, aber was ist mit der Magie, die wir anwenden, um uns in Hirsche
     zu verwandeln? Kommt die nicht von innen?«
    »Nein, nicht wirklich.« Sie betrachtete nachdenklich ihre Hand und drückte sie in die Form eines Hufs. »Am Anfang, wenn ich
     beschließe mich zu verwandeln, kann ich meine innere Magie fühlen – aber nur als Funke, eine Art Einladung, die mich mit der
     größeren Magie dort draußen verbindet. Das ist der Zauber, der Verwandlungen in all ihren Formen bewirkt: Er verwandelt die
     Nacht in den Tag, das Kitz ins
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