Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Merlin und der Zauberspiegel

Merlin und der Zauberspiegel

Titel: Merlin und der Zauberspiegel
Autoren: Thomas A. Barron
Vom Netzwerk:
auf dem Boden saß, kreisten uns Sumpfnebel ein wie ein paar Augenblicke zuvor die Moorghule. Plötzlich
     spürte ich einen harten Stoß gegen den Rücken. Ich drehte mich um und schaute Gwynnia in die feurigen Augen.
    Hallia streckte die zitternde Hand aus und streichelte die riesige Nase des Drachen. »Du hast dich gut geschlagen, meine Freundin.
     Auch wenn du noch nicht Feuer speien kannst, hast du gekämpft wie ein echter Drache. Ja – selbst deine Namenspatronin, die
     Mutter des ganzen Drachengeschlechts, wäre stolz auf dich gewesen.«
    Gwynnia, anscheinend verlegen, schüttelte den Kopf und ließ die Reihen winziger purpurroter Schuppen unter ihren Augen funkeln
     wie Amethyste. Zugleich schlug ihr schlaffes Ohr an die Schulter und bespritzte uns mit Schlamm. Hallia lachte und klaubte
     sich einen Schmutzbrocken vom Kinn. Unversehens drehte sie sich um und warf ihn mir an den Kopf. Er klatschte an meine Schläfe.
    »Das«, sagte sie, »ist fürs Zuspätkommen.«
    Bevor ich protestieren konnte, zog sie meinen Kopf zu sich heran. Die Hirschaugen musterten mich einen Augenblick. Dann gab
     sie mir einen zarten Kuss auf die Lippen. »Und das ist fürs Zurückkommen.«
    Stotternd vor Überraschung drehte ich den Kopf weg. »Du . . . also . . . ich . . . äh . . . das heißt . . .«
    »So«, erklärte sie abschließend. »Du erinnerst dich doch, dass ich dir etwas sagen wollte? Nun, das war es.«
    Ich hörte auf zu brabbeln und grinste.
    Plötzlich wurde sie nachdenklich, schaute über den Sumpf und betrachtete die Schwaden aufsteigenden Nebels. Sie fuhr mit den
     Fingern über den Schlamm neben uns und berührte die verstreute Asche, das Einzige, was von Nimues Feuerball übrig geblieben
     war. »Irgendwie, junger Falke, wusste ich, dass du rechtzeitig zurückkommen und mir helfen würdest. Aber die Moorghule? Die
     haben mich überrascht.«
    Ich nickte. »Nimue auch.«
    »Ich habe noch nie gehört, dass sie etwas unternahmen, um anderen Geschöpfen zu helfen.« Sie kämmte sich mit den Fingern die
     verwirrten Locken. »Jedenfalls keinem Mann und keiner Frau. Selbst mein Volk, das für seine Versöhnlichkeit bekannt ist, hat
     wenig für die Moorghule übrig. Alle unsere Geschichten über sie – jede einzelne – endet mit Schrecken.«
    Sie gab es auf, die schlammverkrusteten Haare zu kämmen, und sah mich nachdenklich an. »Wahrscheinlich hast du doch das Richtige
     mit dem Schlüssel meines Vaters getan. Vielleicht verändert es sogar die Moorghule, wenigstens ein bisschen.«
    »Vielleicht. Es ist schwer zu sagen.«
    Ich wandte mich zu dem Steinbogen und betrachtete den Spiegel darin. Unter meinem schwankenden Spiegelbild waberten Nebelwolken,
     kreisten, verbanden sich, bildeten zahllose Gestalten und Korridore. Während ich zusah, verschwand langsam mein eigenes Bild
     und machte etwas anderem Platz. Es war ein Gesicht, allerdings ganzanders als mein eigenes. Es gehörte einem Mann, dessen langer Bart im Nebel verschwand: ein sehr altes, sehr weises Gesicht,
     voller Sorgen und Qualen und jahrhundertelangem Sehnen – und zugleich einer Spur Hoffnung. Während ich das Gesicht betrachtete,
     schien es einen Moment lang mich anzublicken. Dann löste es sich auf wie eine Wolke im Wind.
    Ich griff nach meinem Lederbeutel und berührte darin einen Samen, klein und rund, der zu pulsieren schien wie ein lebendes
     Herz. Ein Samen, aus dem eines Tages etwas sprießen könnte, das herrlich anzuschauen war.
    Zu Hallia gewandt sagte ich: »Du könntest Recht haben mit den Moorghulen. Die Leute erzählen viele Geschichten über sie und
     werden das immer tun. Aber die Moorghule haben immer noch Zeit, ihre eigene Geschichte zu schreiben.« Ich holte tief Luft.
     »Mit ihren eigenen Entscheidungen, ihrem eigenen Ausgang.«
    Hallia deutete auf den Torbogen. »Wirst du mir eines Tages erzählen, was du dort drinnen alles gesehen hast?«
    »Nicht alles, nein. Aber ich werde dir eins sagen, das Wichtigste.« Ich griff nach ihrer Hand. »Es war ein Spiegel. Ein Spiegel,
     der überhaupt kein Licht braucht.«
    Bei diesem Satz leuchtete ihr Gesicht auf. »Und was hast du in diesem Spiegel gesehen?«
    »Oh, vieles, unter anderem einen Zauberer. Ja, den Zauberer, der ich eines Tages sein werde. Nicht weil es meine Bestimmung
     ist, wohlgemerkt, sondern weil
ich
es bin.« Ich tippte an meine Brust. »Dasselbe Ich, aus demselben Fleisch und Blut gemacht, das du hier siehst.«
    Ich spürte eine Bewegung am Boden, drehte mich um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher