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Merlin und der Zauberspiegel

Merlin und der Zauberspiegel

Titel: Merlin und der Zauberspiegel
Autoren: Thomas A. Barron
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nicht.«
    Obwohl der Junge kurz verdutzt schien, nickte er. »Das mache ich, versprochen.«
    Plötzlich umwogte mich dicker Nebel. Rasch verhüllte er die kristallenen Wände und die Decke der Höhle. Während ich das letzte
     Flackern der Facetten betrachtete, war mir klar, dass ich sie mehrere Menschenleben lang nicht wiedersehen würde. Im nächsten
     Moment war die Buche verschwunden, gleich darauf Artus. Nur noch die dunkle, verschwommene Gestalt des alten Zauberers blieb.
     Er hob die Hand und winkte mir über so viel Nebel, so viel Zeit hinweg . . . Dann verschwand er jäh.

XXV
TUNNEL
    S tarr wie eine Steinsäule stand ich mitten in einem ansteigenden Meer – einem Nebelmeer. Wolken, die sich rasch verdunkelten,
     kamen näher, so nah, dass ich einen Augenblick fürchtete, sie würden mich erdrücken. Doch irgendwie konnte ich weiter atmen.
     Und mit wachsender Beklommenheit weiter beobachten, wie die endlos wogenden Schwaden mich umdrängten.
    Wie zuvor bildeten die wirbelnden Nebel verschlungene Muster   – Welten innerhalb von Welten   –, die sich ohne Begrenzung in alle Richtungen dehnten. Aber anders als zuvor waren diese Muster nicht erkennbar: weder als
     Orte oder Gegenden, die ich kannte, noch als Orte
überhaupt.
Keine Täler, keine Wälder, keine Dörfer tauchten aus den Dampfschichten auf. Keine Hinweise auf geheime Träume oder verborgene
     Ängste zerrten an meinem Gedächtnis. Keine Formen, keine Gefühle, an die ich mich irgendwie erinnerte, kamen zum Vorschein.
    Nur Nebel.
    Und noch etwas: meine Angst, die wie eine wachsende Wolke in mir schwoll. Ich hatte Angst um Hallia, die aus unbekanntem Grund
     in Gefahr war. Konnte ich sie rechtzeitig erreichen? Und wenn, würde ich ihr helfen können? Und ich hatte auch Angst um mich
     – aus Gründen, die so undefinierbar waren wie der Nebel selbst. Sogar meinSchatten, der sich zu meinen Füßen duckte, schien von Angst überwältigt.
    Mit der Zeit formten sich die Wolken zu Mustern anderer Art. Während der Trommelschlag des Entsetzens in meinem Kopf lauter
     wurde, sah ich, wie die Dämpfe vor mir sich zu einem Kreis vereinigten – einem Loch, das tief in die Dunkelheit jenseits der
     Stelle führte, wo ich stand. Dann erschien zu meiner Linken ein weiteres Loch. Und noch eins öffnete sich über meinem Kopf;
     zwei weitere mehr rechts; mehrere vor mir. Innerhalb von Sekunden war ich von einer Wabe aus Tunneln umgeben, die endlos ins
     Nichts führten.
    Plötzlich regte sich etwas in einem der Tunnel. Ein Lichtrand schimmerte um eine schattige Gestalt, die langsam in Sicht kam.
     Es war, erkannte ich schaudernd, ein Gesicht. Mein Gesicht! Da waren die Augen, dunkler als der Tunnel; das Haar, ganz wirr;
     die Narben an Wangen und Stirn. Das Gesicht, ein vollendetes Abbild meines eigenen, sah mich aufmerksam an.
    Dann erschienen in anderen Tunneln weitere Gesichter. Eins nach dem anderen kam aus dem Nebel – alle starrten mich an, alle
     warteten anscheinend darauf, dass etwas geschah. Und alle Gesichter waren mein eigenes. Auf jeder Seite, über und unter mir
     sah ich mein Abbild. Schweigend und schauend standen sie mir gegenüber, jedes genau wie die anderen. Jetzt sah ich nicht nur
     auf ein grenzenloses Nebelmeer, sondern auf einen Kristall mit vielen Facetten, von denen jede mich spiegelte.
    Plötzlich sprach eines der Gesichter mit einer Stimme, die genau wie meine klang: »Komm, junger Zauberer. Betretemeinen Tunnel, denn er ist der einzige Pfad, der dich nach Hause führt.«
    Bevor ich antworten konnte, rief ein anderes Gesicht von oben: »Du bist kein Zauberer, sondern ein guter Sohn. Und hier ist
     der Weg, den du suchst! Bist du nicht der mutige Junge, der vor vielen Jahren an einer felsigen Küste das Leben seiner Mutter
     gerettet hat? Komm, folge mir jetzt – bevor deine Zeit abgelaufen ist.«
    Ein anderes Gesicht widersprach: »Achte nicht auf ihre Worte! Ich weiß, wer du in Wahrheit bist: kein Zauberer, kein Sohn,
     sondern ein Naturgeist   – Bruder der Flüsse und des Himmels, der Felder und Wälder. Komm jetzt mit mir. Dieser Weg führt dich nach Hause!«
    »Sag die Wahrheit«, höhnte ein anderes Gesicht. »Du hast danach gestrebt, all das und mehr zu werden. Aber jedes Mal hast
     du versagt und tief in dir weißt du, dass es immer so sein wird. Denn du bist ein Stümper mit Schwächen, die immer deine besten
     Absichten zunichte machen werden. Sag mir jetzt, spreche ich die Wahrheit?«
    Zerknirscht nickte
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