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Merlin und der Zauberspiegel

Merlin und der Zauberspiegel

Titel: Merlin und der Zauberspiegel
Autoren: Thomas A. Barron
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verwandt.
    Ein Wind kam auf und trug Geräusch und Geruch davon. Beides verschwand im stinkenden Gelände des verhexten Moors. Niemand,
     noch nicht einmal die Moorghule bemerkten, was geschehen war. Und niemand war Zeuge dessen, was als Nächstes geschah.
    Die Hand stieß mit gespreizten Fingern vor. Dahinter wurden Gelenk, Unterarm und Ellbogen sichtbar. Die schimmernde Oberfläche
     barst plötzlich und schmolz wieder zu einem schwankenden, zitternden Spiegel, ruhelos wie die Nebel in seinen Tiefen.
    Aus dem Torbogen schritt eine Frau. Während sie ihre Stiefel auf den schlammigen Boden setzte, strich sie die Falten ihres
     weißen Gewandes und des Schals aus silbrigem Gewebe glatt. Groß und schlank stand sie da, die Augen so lichtlos wie das Innere
     eines Steins. Sie schaute zum Spiegel zurück und lächelte grimmig.
    Sie schüttelte die schwarzen langen Locken und wandte sich dem Moor zu. Lange horchte sie auf sein fernes Wimmern und Zischen.
     Dann knurrte sie zufrieden. Leise flüsterte sie: »Diesmal, mein lieber Merlin, wirst du mir nicht entkommen.«
    Sie zog den Schal um die Schultern und schritt in die Düsternis.

TEIL EINS
    I
SCHATTEN
    I ch spannte mich an bis zum Äußersten, richtete meine ganze Willenskraft auf die Aufgabe, aber mein Schatten bewegte sich nicht.
    Wieder versuchte ich es. Der störrische Schatten rührte sich immer noch nicht. Ich schloss die Augen – eine sinnlose Geste,
     weil sie sowieso nichts sehen konnten und vor mehr als drei Jahren durch mein zweites Gesicht ersetzt worden waren – und konzentrierte
     mich, so sehr ich konnte. Nichts wahrnehmen als meinen Schatten. Das war nicht einfach an einem so hellen Sommertag, aber
     es erschien immer noch einfacher als meine Aufgabe.
    Nun gut. Ich machte mir den Kopf frei, verdrängte das Rascheln des Grases auf dieser Bergwiese und das Plätschern des nahen
     Baches. Weg mit den Düften von Minze, Lavendel, Kresse – fast stark genug, um mich zum Niesen zu bringen. Weg mit dem Stein,
     von gelben Flechten überzogen, der unter mir lag; weg mit den Bergen von Varigal, die über mir aufragten, sogar im Sommer
     mit Schneestreifen. Weg mit der Frage, ob ich meinem alten Freund, dem Riesen Shim, in diesen Bergen so nah bei seinem Zuhause
     begegnen würde. Und, das war das Schwierigste, weg mit den Gedanken an Hallia.
    Nur mein Schatten.
    Ich fing ganz unten an und folgte dem Umriss des Schattens auf dem Gras. Da waren meine Stiefel mit denbaumelnden Lederriemen, die fest auf dem Stein ruhten. Dann die Beine, die Hüften, die Brust, die in der gebauschten Tunika
     weniger schmächtig aussah als sonst. Auf einer Seite stand mein Lederbeutel vor – und auf der anderen mein Schwert. Dann die
     Arme, gebeugt, mit den Händen auf den Hüften. Und der Kopf, gerade weit genug zur Seite gedreht, dass man die Spitze der Nase
     sah, die sich, sehr zu meiner Bestürzung, seit ein paar Monaten nach unten bog. Sie glich schon mehr einem Schnabel als einer
     Nase und erinnerte mich an den Falken, der zu meinem Namen angeregt hatte. Und danach natürlich das Haar, noch schwärzer als
     mein Schatten. Und, brummte ich vor mich hin, genauso widerspenstig.
    Bewege dich,
befahl ich lautlos und hielt dabei meinen Körper ganz still.
    Keine Reaktion.
    Hebe dich,
verlangte ich und konzentrierte alle Gedanken auf den rechten Arm des Schattens.
    Immer noch keine Reaktion.
    Ich knurrte wütend. Schon den ganzen Morgen hatte ich mit dem Versuch vertan, meinen Schatten dazu zu bringen, dass er sich
     selbstständig bewegte. Und wenn das Schattendirigieren eine Fertigkeit war, die den ältesten Zauberern vorbehalten blieb –
     den wahren Magiern? Ich hatte noch nie gut warten können.
    Ich atmete lange, langsam ein.
Hebe dich. Hebe dich, sage ich.
    Einen langen Moment starrte ich wütend auf die dunkle Form. Dann . . . veränderte sich etwas. Langsam, sehr langsam fing der
     Umriss des Schattens an zu zittern. DieSchulterlinien verschwammen, während die Arme so heftig bebten, dass sie anzuschwellen schienen.
    Besser. Viel besser.
Ich zwang mich reglos zu bleiben, noch nicht einmal die lästigen Schweißtropfen wegzuwischen, die mir über die Schläfen rollten.
Jetzt, rechter Arm. Hebe dich!
    Mit einem heftigen Ruck streckte sich der Arm des Schattens. Und hob sich – bis über den Kopf. Obwohl ich den Körper starr
     hielt, durchfuhr mich ein Schauder – eine Mischung aus Erregung und Entdeckerfreude und Stolz auf meine wachsenden Kräfte.
     Endlich hatte
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