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Meridian - Flüsternde Seelen

Meridian - Flüsternde Seelen

Titel: Meridian - Flüsternde Seelen
Autoren: Amber Kizer
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das Reisen. Außerdem handelte es sich nicht um einen x-beliebigen bepelzten Eindringling, sondern um einen Wolf – einen riesigen Wolf mit großen goldenen Augen. Und einer enormen Zunge. Gewaltig. Darf ich Ihnen Kaffee anbieten? Oder Saft? Traubensaft vielleicht?«
    Woher weiß er das?
Ich war nicht sicher, ob ich noch mehr Koffein brauchte, und hatte außerdem nicht vor, etwas zu mir zu nehmen, ehe ich meiner Sache nicht sicher sein konnte.
Gut, dann bin ich eben eine Schwarzmalerin.
»Äh, nein danke.« Ich hatte weder das Bedürfnis, zu fliehen und mich zu verstecken, noch wollte ich den Kampf aufnehmen. Es gab keine Bedrohung – nicht, wenn ich innehielt und auf mein Herz hörte. Fenestrae liebten den Geschmack von Trauben. Mein ganzes Leben lang hatte ich Traubenlimonade oder -saft getrunken. Als ich meiner Tante begegnete, entschied sie sich ebenfalls für Traubensaft und erzählte mir von dieser Vorliebe. Den Grund konnte sie mir nicht erklären, aber es liege in der Familie. Trauben und Brokkoli. Ja, Brokkoli.
    »O gütiger Gott im Himmel, ich muss mich entschuldigen! Wo sind meine Manieren? Ich heiße Rumi. Wie der Dichter. Ich bin Glaskünstler, verstehen Sie? Ich blase Glas und mache Lampenschirme.« Er wies im Lagerhaus umher, in dem wir standen. »Außerdem bin ich Historiker, Mystiker, Gelehrter, Rugbyfan, für meine Freunde der Küchenchef und ein Weltreisender. Also ein Renaissancemensch der alten Schule.« Er benahm sich, als wären wir alte Freunde, die sich nach langer Zeit wieder auf einer Party begegnen.
    Rumi schüttelte den Kopf wie einen Magic Ball. »Sie haben dieses Leuchten. Es umgibt Sie. Faszinierend. Nehmen Sie bitte Platz. Setzen Sie sich. Limonade? Bier? Sind Sie schon alt genug, um Alkohol trinken zu dürfen? Beeinträchtigt das Ihre Fähigkeiten? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas ausmacht. Aber kommt und geht Ihre Gabe? Ich bin neugierig, ob in den Aufzeichnungen meiner Nain etwas darüber steht. Soll ich nachschlagen? Wie lange wissen Sie es schon? Was bringt Sie in unsere Stadt? Oder wirken die Geistersteine so gut? Können sie tatsächlich jemanden in die Stadt locken? Kommen noch mehr von Ihrer Sorte? Soll ich einkaufen gehen? Haben Sie eine Unterkunft? Wollen Sie sich selbst darum kümmern, oder soll ich das übernehmen?« Und so fragte er immer weiter, offenbar ohne eine Antwort von uns zu brauchen oder zu erwarten. Seine kindliche Begeisterung war unwiderstehlich.
    Mit jeder Frage taute Tens ein wenig mehr auf. Ich griff nach einem schmiedeeisernen Stuhl, der mit nachgeahmten Efeuranken verziert war. Der Raum hatte etwas Magisches, jedoch nicht im Sinne von merkwürdig oder märchenhaft, sondern eher unerklärlich.
    »Wer ist Nain?« Tens stand hinter mir, breitbeinig, das Gewicht auf beiden Füßen ruhend, die Arme herabhängend, aber zu allem bereit. Seine Miene war versteinert.
    Rumi ließ sich auf einem Sitzkissen nieder und überkreuzte erstaunlich gelenkig die Beine. »Ich muss mich entschuldigen. Sie sind wie ein Filmstar für mich. Einfach erstaunlich. Ein Geschenk an alles, was auf der Welt schön und richtig ist. Wirklich, ich hätte nie gedacht, dass es sich bewahrheiten könnte.« Wieder starrte er mich an und begann, mit den Fingern Formen in die Luft zu malen, als wollte er gleichzeitig meine Umrisse nachfahren und eine Fliege fangen.
    »Dass sich was bewahrheitet?«, fragte Tens.
    Ich hielt den Mund, denn ich fühlte mich, als sähe ich mir einen schlecht untertitelten Film an, von dem ich nur jeden zweiten Satz verstand, und schaffte es nicht, System hineinzubringen.
    »Es tut mir ja so leid. Ständig entschuldige ich mich. Bitte haben Sie Geduld mit mir. Möchten Sie wirklich nichts trinken?« Er richtete sich anmutig auf, schenkte sich einen riesigen Becher Kaffee ein, füllte mehr als die Hälfte der Tasse mit Milch auf und gab genug Zuckerwürfel hinein, um die Pyramiden von Gizeh damit nachzubauen. Nachdem er einen Schluck genommen hatte, setzte er sich wieder und murmelte vor sich hin.
    Schließlich nickte er, als wisse er endlich, wo er anfangen sollte. »Meine Großeltern väterlicherseits kamen aus Wales in dieses Land. Sie waren noch Kinder. Ihre Familien waren schon ein Leben lang befreundet. Also wuchsen sie zusammen auf, heirateten jung und bekamen ihrerseits Kinder. Dreizehn.« Er hielt inne und schmunzelte über meinen Gesichtsausdruck. »Nur sechs erreichten das Erwachsenenalter. Mein Vater war eines davon.«
    Er veränderte
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