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Meridian - Flüsternde Seelen

Meridian - Flüsternde Seelen

Titel: Meridian - Flüsternde Seelen
Autoren: Amber Kizer
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Frauchen sein, sondern genauso auf ihn achten, und zwar auf Augenhöhe.
    »Richtig, aber …«
    Ich umfasste sein Gesicht mit den Händen und versuchte, ihm Selbstsicherheit und Verständnis zu vermitteln. »Du Schwarzmaler. Ich mache schon keine Dummheiten.«
    »Das habe ich doch schon mal irgendwo gehört.« Endlich lachte er auf und schüttelte den Kopf. Dann wies er auf das Atelier hinter uns. »Was zuerst, die Glaskugeln oder das Krankenhaus?«
    Am liebsten hätte ich mit »Ene, mene, muh« geantwortet, denn beides erschien mir gleich wichtig und unumgänglich. Allerdings waren wir gerade hier, und die Kugeln über meinem Kopf leuchteten wie Straßenlaternen. »Kugeln.« Warum fingen sie in meiner Gegenwart zu strahlen an? Und wie konnten wir erreichen, dass sie damit aufhörten, bevor es jemandem auffiel?
    »Meridian, schau mal.« Tens zeigte nach oben auf ein grünes Straßenschild.
    »Meridian Street?«
    »Wenn das kein gutes Omen ist.«
    »Die richtige Entscheidung im Gesamtzusammenhang?« Dass es da etwas gab – ganz gleich, wie man das Göttliche auch nennen mochte –, das mit mir kommunizierte, beunruhigte mich.
    Als wir die Glastür öffneten und das Atelier betraten, dröhnten uns die B- 52’s entgegen, deren Stimmen uns begeistert in die »Love Shack« einluden. Der Raum bestand zwar nur aus Leitungsrohren und Backstein, wirkte aber dennoch warm und einladend.
    »Seien Sie herzlich gegrüßt! Kann ich Ihnen behilflich sein?« Ein beleibter Hüne stand auf einer Leiter und kehrte uns den Rücken zu. Er war damit beschäftigt, ein Objekt, das an der Decke hing und aussah wie ein orangefarbener gläserner Oktopus, mit Bändern zu verzieren.
    Achselzuckend sah ich Tens an. »Guten Abend«, sagte ich. »Wir sind hier, um mehr über die …«
    »Geht es um die Geistersteine?« Seine Stimme klang wie das Grollen eines Erdbebens, kräftig und befehlsgewohnt.
    »Äh … nein, um die … äh … Hexenkugeln.« Geistersteine? War damit dasselbe gemeint, oder gab es weitere Merkwürdigkeiten, von denen ich nichts ahnte?
    Er kletterte die Leiter hinunter wie ein Schimpanse. Seine Zähne blitzten auf, doch das Lächeln wurde von seiner grauen Gesichtsbehaarung verborgen, die dichter war als alles, was er vermutlich je auf dem Kopf gehabt hatte. Er überragte Tens um etwa dreißig Zentimeter und war einige hundert Kilo schwerer als er. »Das ist dasselbe. Oh, schauen Sie sich nur an.« Er musterte mich und umrundete uns. »Wundervoll. Einfach trefflich. Sie kommen wie gerufen. Eigentlich habe ich die Legende nie geglaubt. Nicht wirklich. Eine Geschichte. Aber eine verdammt gute Geschichte.«
    Im ersten Moment umfasste ich meine Hände, damit sie unter seinem eindringlichen Blick nicht zu zittern anfingen. Zwischen seinen Armen mit einem enormen Bizeps erstreckte sich eine Brust von der Größe eines Kleinwagens. Ich empfand die Musterung zwar als einschüchternd, aber nicht als beängstigend. Beinahe erinnerte er mich an eine riesige, tolpatschige Dänische Dogge, die nicht ahnt, welche Wirkung ihre Gestalt auf Menschen hat.
    »Was machen Sie da?«, fragte Tens und versuchte, sich zwischen mich und den Riesen zu stellen.
    »Sie sind ein Fenster des Lichts, der Gute Tod, richtig?«, erkundigte er sich und starrte mich gleichzeitig an und an mir vorbei.
    »Äh?« Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück.
    Ohne sich darum zu kümmern, wandte er sich an Tens. »Und Sie sind ihr Aufpasser, stimmt’s? Sie beide sind die Fleischwerdung, der greifbare Beweis für die Idee, die hinter den Geistersteinen steht.«
    Was bedeuteten diese Begriffe? Fenster des Lichts? Guter Tod? Aufpasser? Und spielten unsere Antworten eine Rolle?
    Er sah mich weiter mit zusammengekniffenen Augen an, als bräuchte er eine Brille. »Ich fühle mich geehrt, Sie kennenzulernen. Ich habe die ganze Welt bereist und so manches aufgeschnappt, aber es erschien mir schlicht und ergreifend unmöglich. Doch ich hätte es besser wissen müssen. Und dann, peng, heute Morgen bin ich davon geweckt worden, dass ich spürte, wie ein Hund mein Gesicht ableckte. Und da war mir klar, dass Sie heute erscheinen würden. Ich wusste es tief hier drin.« Er klopfte sich auf den Bauch.
    Das wurde ja immer seltsamer. »Ein Hund?«, stieß ich hervor, während Tens mich hinter sich schob.
    Der Mann streckte die Hand aus, als wollte er mich streicheln, antwortete aber stattdessen: »Ich habe keinen Hund. Ich habe noch nie ein Haustier besessen. Sie erschweren
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