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Unter Den Augen Tzulans

Unter Den Augen Tzulans

Titel: Unter Den Augen Tzulans
Autoren: Markus Heitz
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PROLOG
    Kontinent Ulldart, Königreich Aldoreel, fünf Meilen nördlich von Telmaran, Winter 443/444 n.S.
    Langsam löste sich der halb volle Silberpokal aus der erschlaffenden Hand und fiel mit einem dumpfen Poltern auf die gestampfte Erde der großen Halle. Er rollte ein wenig zur Seite, wobei sich der letzte Rest des Weins auf den Boden ergoss, und lag dann still. Rot wie Blut sammelte sich der vergorene Traubensaft in kleinen La­chen, den schwachen Schein der erlöschenden Flammen reflektierend.
    Die beinahe zu Asche verbrannten Baumstämme im offenen Kamin spendeten nur noch ein kraftloses Glühen, das nicht ausreichte, den riesigen Raum zu erhellen. Knackend und Funken sprühend brachen die schwarzen Trümmer in sich zusammen.
    Die zusammengesunkene Gestalt in dem Sessel vor der Feuerstelle reagierte nicht.
    Der Kopf mit den blonden Haaren hing auf der Brust, die Augen waren geschlossen, der rechte Arm pendelte von der Lehne herab. Die linke Hand umklammerte eine leere Flasche Wein, zu den Füßen des Mannes lagen drei weitere neben dem unordentlich abgelegten Brustharnisch.
    Der Schläfer murmelte etwas, dann zuckte sein Stiefel nach vorne. Klirrend stießen die getroffenen Flaschen aneinander, aber auch dieser Laut weckte ihn nicht aus dem gnadenlosen Traum. Ein Traum, der ihm die Ge­sichter der vielen namenlosen Toten, die er verschuldet hatte, vor Augen hielt. Er hörte die Schreie der Brennenden, der Ertrinkenden, die Hilferufe und die Verwünschungen, die seinen Namen für alle Ewigkeiten verfluchten.
    Eine zweite, völlig verdreckte Gestalt kam lautlos hinter einer Säule zum Vorschein.
    Vorsichtig sah sie sich im dunklen Raum um, immer auf der Hut vor einem möglichen Wächter oder einem überraschenden Angriff.
    Sie verzichtete darauf, näher an den Stuhl mit dem blonden, jungen Mann heranzugehen, nahm stattdessen einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf die Sehne. Millimeter für Millimeter zog der Schütze die geflochtene Schnur zurück und visierte das Herz des Schlafenden an. Als er sich ganz sicher war, dass die Spitze ihr Ziel nicht verfehlen würde, gaben seine Finger die Sehne frei.
    Zischend durchschnitt das Geschoss die Luft und stieß eine Armlänge vor der ungeschützten Brust gegen ein unsichtbares Hindernis. Der Pfeil hing für einen Lidschlag bewegungslos und fiel dann zu Boden.
    Im gleichen Moment öffnete der Mann im Sessel die dunkelblauen, vom Alkohol getrübten Augen.
    »Ihr hättet in Granburg auf mich schießen sollen«, sagte Lodrik mit schwerer Zunge in die Schatten. »Nun werdet Ihr kein Glück mehr haben, Meister Hetrál. Meine Magie ist zu mächtig, als dass eine Stahlspitze mir gefährlich sein könnte.«
    Ein zweiter Pfeil flog heran und erlitt das gleiche Schicksal wie der erste.
    Schwankend erhob sich der Kabcar von Tarpol und Tûris. »Oh, wie dankbar wäre Euch heute Ulldart, wenn Ihr damals den Auftrag Kolskois angenommen und mich ermordet hättet, als ich noch ein kleiner Junge war. Ein Gouverneur.« Lodrik lachte leise und stieß geräuschvoll Luft aus. »Und nun seht, was ich heute bin, Meister Hetrál. Ein Held. Ein Herrscher, der sein Volk ein weiteres Mal vor anmaßenden Angreifern gerettet hat. Und vermutlich die Dunkle Zeit brachte, samt Sinured.« Er zog sein Henkersschwert, die Gravuren blitzten auf. »Nun denn. Ich gebe Euch die Gelegenheit, mich im Zweikampf zu stellen. Nur Ihr und ich. Obwohl es ein Verräter wie Ihr nicht verdient hat.«
    Der junge Mann taumelte in Richtung des Turîten, die Schneide schleifte über die Erde.
    Hetrál warf den Bogen zur Seite und zückte ebenfalls seine Waffe. Als er den jungen Telisor vor wenigen Stunden gegen die Übermacht stürmen sah, wusste er, das Geeinte Heer würde einen zweiten Aufgang der Sonnen nicht mehr erleben. Und er hatte bemerkt, dass sich Lodrik in die Soldatenstadt zurückzog. Er war ihm, von den Wachen unbemerkt, gefolgt, anstatt sich in einen sicheren, sinnlosen Tod zu stürzen. Vielleicht ließe sich weiteres Unglück verhindern.
    Aufmerksam verfolgte er die Bewegungen des Betrunkenen.
    »Ich weiß, was Ihr denkt, Meister Hetrál«, lallte Lodrik und strich sich die offenen Haare aus dem Gesicht. »Ihr denkt, wenn Ihr mich nun tötet, bevor das Jahr 444 beginnt, wird die Dunkle Zeit nicht anbrechen. Und Ihr hofft auf ein Wunder von Ulldrael.« Der Kabcar gluckste. »Der Gerechte, wie das Volk ihn nennt.« Er fixierte mit schwerem Blick die braunen Augen des stummen Meisterschützen. »Nennt
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