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Mercy, Band 2: Erweckt

Mercy, Band 2: Erweckt

Titel: Mercy, Band 2: Erweckt
Autoren: Rebecca Lim
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damit ich wieder leben kann , so wie früher.
    28 . August: Ich liebe sie sehr und kann mir ein Leben ohne sie gar nicht vorstellen. Allein der Gedanke macht mir Angst. Aber ich bin auch wütend auf sie, so verdammt wütend. Es ist ihre Schuld, dass alles so gekommen ist, und das werde ich ihr nie verzeihen. Manchmal wünsche ich mir fast, dass sie tot wäre, weil ich einfach nicht mehr kann, und ich glaube, sie auch nicht.
    Oh Gott, was sage ich da?
    Ich überfliege die folgenden Einträge, alle haben denselben Tenor. Lela macht kein Geheimnis daraus, wie sehr sie mit ihrem jetzigen Leben hadert, und sie ist oft wütend und voller Selbstmitleid, was ich verständlich finde. Der Krebs, der ihre Mutter dahinrafft, hat zugleich auch Lela völlig aus der Bahn geworfen.
    Endlich hält ein Bus, der in die City fährt. „Zentrum über Green Hill“ steht über dem Fahrerfenster. Ich steige hinter der strubbeligen Brünetten und dem schmuddeligen Skater-Typ ein, bleibe auf der obersten Stufe stehen und zeige mechanisch Lelas Busfahrkarte vor. Lela Neill , 1 9 Highfield Street, Bright Meadows , steht darauf.
    Der Ortsname ist wieder mal der blanke Hohn. „Blühende Wiesen “ – na klar, sicher. Früher mal, am ersten Schöpfungstag vielleicht.
    „Morgen, Schätzchen“, begrüßt mich die stämmige Busfahrerin. Sie hat rotes Haar, eine hässliche Frisur, vorne kurz, hinten lang, und riecht nach kaltem Zigarettenrauch. Durch ihre getönte Fahrerbrille starrt sie mich neugierig an, als ich nicht gleich durchgehe, wie alle anderen. Wahrscheinlich bleibt sonst nie jemand stehen und redet mit ihr.
    „Können Sie mir vielleicht sagen, wie ich zum Green Lantern komme?“, frage ich zögernd. „Das ist ein Café. In der City.“
    Die Frau nickt und wirft mir einen seltsamen Blick zu. „Jetzt setzen Sie sich erst mal, Schätzchen. Fehlt Ihnen was? Sie sind ein bisschen blass um die Nase.“
    Ich werfe ihr ein halbwegs freundliches Lächeln zu und setze mich direkt hinter sie. Sobald die Türen zugehen und der Bus in einer dicken Dieselwolke losholpert, vertiefe ich mich wieder in Lelas Tagebuch.
    Aus den endlosen, verzweifelt vollgeschmierten Seiten erfahre ich, dass Lela vor ein paar Monaten ihr Studium im ersten Semester abbrechen musste, weil der Krebs ihrer Mutter zurückgekommen war und das Geld knapp wurde. Und Andy hat ihr dann vollends das Herz gebrochen.
    Ein Vater ist nicht in Sichtweit e – er ist längst mit einer Jüngeren abgehauen, mit „so einem geldgierigen Flittchen“ in den Norden gezogen. Ich spüre, wie Lela die Stirn runzelt. Das ist natürlich meine eigene Reaktion, weil mir die Ausdrücke, die sie in ihrem Tagebuch gebraucht, oft genauso fremd sind wie die gedehnte Sprechweise der Leute hier, auch die von Lela selbst: die ungewohnten Betonungen, die Abkürzungen, Slangwörter und dergleichen.
    Es gibt also nur die zwei, Mutter und Tochter fechten ganz auf sich allein gestellt den hoffnungslosen Kampf gegen den Krebs aus, und das mit dem Lohn einer Kellnerin in einem schäbigen Coffeeshop. Lela ist im Großen und Ganzen ein guter Mensch, auch wenn sie in ihrem kleinen braunen Tagebuch ständig nur jammert. Dahinter verbirgt sich ein tiefer Kummer, das spüre ich. Trotzdem ist es immer dieselbe trostlose Leier, die auf einen einzigen Satz hinausläuft: „Ich hasse mein Leben.“ Irgendwann reicht es mir und ich klappe das Tagebuch wieder zu und streife das Gummiband darüber. Danach starre ich aus dem Fenster auf die endlosen Straßen mit den altmodischen, nicht allzu eng stehenden Häusern, dazwischen Gewerbegebiete, Bahnübergänge und örtliche Einkaufsmeilen, die alle gleich aussehe n – Apotheken, Banken, Bäckereien und Kneipen, in denen man gleichzeitig essen und trinken und an Automaten spielen kann. Praktisch.
    Ständig steigen Leute ein und aus. Ein Blick nach hinten verrät mir, dass inzwischen vor allem korrekt gekleidete Büromenschen mitfahren. Die Gesichter der Fahrgäste werden deutlich verkniffener. Die Sonne scheint durch die schmutzigen Fenster herein und zaubert hübsche Muster auf den müllübersäten Mittelgang. Endlich fahren wir durch Green Hill, einen Ortsteil, der seinem Namen auch nicht gerade Ehre macht: von „grün“ kann hier keine Rede sein. Wir lassen die Vororte hinter uns, und je näher wir der City kommen, desto zäher wird der Verkehr. Der Bus kommt nur noch stockend voran. Der Skater von vorhin schlappt an mir vorbei und baut sich direkt an der vorderen Tür
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