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Mercy, Band 2: Erweckt

Mercy, Band 2: Erweckt

Titel: Mercy, Band 2: Erweckt
Autoren: Rebecca Lim
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vorbereiteten Mail-Entwurf an und öffnet das Fenster für das Zusatzgerät. Es erscheint eine Datei, die er an die Mail hängt, alles mit einer Hand.
    „Ich habe den ganzen Vormittag an einer Emergency-Anti-Virus-Update-E-Mail für P/2/P und die gesamte Kundenliste des Unternehmens gearbeitet“, sagt er. „Alles Firmen, die von inkompetenten Idioten geführt werden. Die wissen nicht mal, wie man ‚Trojaner‘ schreibt, geschweige denn, dass sie einen erkennen würden. Und sie haben nicht die geringste Ahnung, was ich tagtäglich einstecken mus s – die ganzen Demütigungen und Intrigen. Und alles nur, um den Schrott, den sie produzieren, vor Leuten wie mir zu schützen. Drück auf ,Senden‘, Lela, dann implodieren ihre Netzwerke und du setzt das alles in Gang. Vom Green Lantern aus. Ich hab sie gewarn t – hab immer gesagt, dass ich die Firma eines Tages voll an die Wand fahre, und jetzt werden sie mir endlich glauben.“
    Er lacht, aber es klingt wie Verzweiflung in meinen Ohren.
    „Und wenn ich Nein sage?“, erwidere ich. „Die Polizei ist schon draußen. Und massenhaft Zeugen.“
    Ich zeige zum Fenster hinaus. Ranald hat alles um sich herum vergessen, während er seine narzisstischen Kränkung in die Welt hinausgeschrien ha t – der kleine Junge, der seine Mäuse bei lebendigem Leib verbrennt, nur um zu sehen, was passiert. Er hat die bewaffneten Polizisten nicht bemerkt, die angerückt sind und Schranken vor dem Café errichtet haben, um den Verkehr umzuleiten. Ranald hat vergessen, die Rollos herunterzulassen, bevor er sein kleines Geiseldrama mitten in der Stadt inszenierte. Und jetzt rotten sich draußen die Leute zusammen, weil es in der menschlichen Natur liegt, bei jedem Autounfall zu gaffen und die Verletzten und Toten zu zählen. Am Straßenrand stehen bereits Krankenwagen bereit und Reporter versammeln sich.
    „Ich weiß, dass sie da sind“, sagt Ranald tonlos. „Ich habe sie selber gerufen.“
    „Aber das ist doch absurd“, stößt Franklin auf der anderen Seite des Raums hervor. Ich höre Ranalds Antwort nicht mehr, weil plötzlich ein vertrautes Gesicht in der Menge auftaucht: aschfahl, mit tiefen Ringen unter den Augen nach einem anstrengenden Langstreckenflug, auf dem er vermutlich nicht viel geschlafen hat. Ein Typ, der über eins neunzig groß ist und gebaut wie ein Football-Engel.
    Ryan.
    Ich schlage die Hand vor den Mund, die Angst, die ich um ihn habe, flackert in meinen Augen. Warum ist er nicht in der Tapas-Bar geblieben? Was, wenn Ranald ihn sieht?
    Ryans Augen leuchten auf, als er mich über die Köpfe der anderen Leute hinweg erspäht, und er drängt sich sofort nach vorne, bis er direkt vor einer der Absperrungen steht. Nur der Gehsteig trennt uns.
    Ich schüttle den Kopf, bedeute ihm mit stummen Lippenbewegungen, dass er weggehen soll, aber er hält die Stellung.
    „Was ist los?“, ruft er mir durch die Scheibe zu.
    Ich schüttle wieder den Kopf, mein Gesicht verrät ihm, dass sich das nicht mit einem Wort erklären lässt. Meine Augen flehen ihn an wegzulaufen.
    Die Fenster spiegeln leicht in der grellen Mittagssonne, vielleicht kann er Ranald nicht sehen, der direkt hinter mir steht, die Pistole in der Hand, die er auf meinen Rücken gerichtet hat.
    Jetzt dreht Ryan sich um, redet mit einer Polizistin, die in der Nähe steht. Er zeigt in meine Richtung. Die Polizistin dreht sich um und späht angestrengt durch die Scheibe, dann schüttelt sie den Kopf.
    „Nein, da können Sie nicht rein“, wehrt sie ab. Ich höre es ganz deutlich, obwohl sie draußen steht.
    „Das ist meine Freundin“, schreit Ryan. „Meine Freundin ist da drin. Ich muss zu ihr.“
    Da setzt mein Verstand aus, und ich gehe einfach von Ranald weg, dem bewaffneten Psychopathen, bewege mich auf die Fensterfront zu. Ich drücke meine Hand an die Scheibe, mein Herz ist so voll, dass es zu bersten droht.
    Ich höre, wie Ranald hinter mir flucht und ein paar Tasten auf seinem Laptop anschlägt.
    „Gleich ist es vorbei“, ruft Ryan beruhigend.
    Er lächelt mir zu, aber ich sehe die Angst in seinen Augen, die starr werden, als Ranald blitzschnell hinter mich tritt und mir einen Arm um den Hals schlingt. In der anderen Hand hält er noch Franks Waffe, und sein Atem stinkt widerlich nach Kaffee, Schlaflosigkeit, Adrenalin.
    Ich empfinde selten Angst. Ich habe keinen sechsten Sinn und kann auch nicht die Zukunft vorhersagen. Aber alles an diesem strahlenden Vormitta g – diesem Vormittag, der so
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