Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mercy, Band 2: Erweckt

Mercy, Band 2: Erweckt

Titel: Mercy, Band 2: Erweckt
Autoren: Rebecca Lim
Vom Netzwerk:
Leuchten, das pulsierend aus mir entweicht, Wirbel aus reiner Energie.
    Dann bin ich wieder allein, höre nur Lucs Stimme, die von überall und nirgends zu kommen scheint.
    „Finde ihn.“ Die Worte hallen in der unendlichen Finsternis wider. „Finde ihn und warte auf meine Wiederkehr.“

Kapitel 2

    „Lela? Lela, mein Liebes! Du bist wieder im Sessel eingeschlafen. Du musst dich beeilen, sonst kommst du zu spät zur Arbeit.“
    Ich runzle die Stirn, und die letzten Überreste meines Traum s – leuchtend, hyperrea l – verflüchtigen sich und kehren nicht wieder, sosehr ich mich auch daran klammere.
    Noch bevor ich die Augen öffne, rieche ich Eukalyptusöl und Sandelholzrauch. Aber das intensive Aroma kann den Krankheitsgeruch in dem überhitzten Raum nicht verdecken, diesen unverwechselbaren Geruch nach verbranntem Fleisch und einem chemischen Rückstand, der meine Sinne beleidigt. Eine summende Maschine pumpt ein medizinisches Inhalationsmittel in die Luft.
    Jetzt wird mir klar, was mit mir geschehen ist, dass sich die seltsame Alchemie erneut an mir vollzogen hat. Wie schon ungezählte Male zuvor wurde ich herausgerissen aus dem Leben, das ich irgendwo geführt habe, aus dem Körper, den ich bewohnte, und in den Körper vo n … Lela hineingeschleudert. Finnegan, fang wieder an, singt die leise Stimme in meinem Kopf, aber allmählich ist auch das nicht mehr lustig.
    Denn mein wahrer Name ist nicht Lela.
    Auch nicht Mercy, das ist nur der Name, den ich mir selbst gegeben habe. Ich habe keinen Namen und kein Gedächtnis. Oder vielmehr ein Gedächtnis, dessen Löcher so groß sind, dass eine ganze Schiffsflotte hindurchkreuzen könnte. Aber wenn ich angestrengt über mich nachdenke, fange ich ein einziges Wort auf: Mercy. Und deshalb nenne ich mich so, ich habe nichts Besseres. Wer einen Namen hat, muss schließlich auch existieren. Das tröstet mich. Und hey, was will man mehr?
    Ich öffne die Augen und mein Blick fällt auf eine Frau, die vor mir in einem Doppelbett liegt. Ihre Haut ist fahl und glänzend, tiefe Furchen ziehen sich von den Nasenflügeln zum Mund und sie hat dunkle Schatten unter ihren nachtblauen Augen. Das Weiße darin ist leicht gelbstichig, sehr blasses Gelb, ein bunter Schal umhüllt ihren Kopf. Krebs, wispert meine innere Stimme. Chemotherapie. Bestrahlung.
    Ich blicke mich im Zimmer um, betrachte den dreiteiligen Spiegel über der zerschrammten Ankleidekommode. Drei Spiegelbilder starren zurück, obwohl doch nur die Körper von zwei Personen anwesend sind. Ein Schauder läuft mir über den Rücken, als ich das dritte Gesicht im Spiegel fixier e – ein Gesicht, das nichts mit Lela zu tun hat, geschweige denn mit der Frau im Bett.
    Es ist mein Gesicht. Schmal und regelmäßig, braune Augen, helle Haut, Lippen, die weder zu dünn noch zu dick sind, lange, gerade Nase. Ein Geistergesicht. Eingerahmt von schulterlangem braunem Haar, das völlig glatt, gerade, von einheitlicher Farbe und ganz ohne Glanzlichter ist. Ein Gesicht, überlagert von einem anderen Gesicht.
    Ich bin größer als Lela, meine Gastgeberin. Meine Schultern sind breiter, meine Arme und Beine länger. Und mein Blick ist streng.
    Körperlich ist Lela das genaue Gegenteil von mir: klein, zierlich, weibliche Figur, Kurven an den richtigen Stellen. Ihr weiter roter Schlafanzug kann das nicht kaschieren. Sie hat dickes rötliches Haar, frisch gewaschen und zerzaust, das zu einem fransigen Bob geschnitten ist. Ihre Augen sind tiefblau, helle Hau t – eine zarte irische Hau t –, schiefe Zähne, zierliche Knöchel und Handgelenke, winzige Hände und Füße. Ein freundliches Gesicht, finde ich. Ein angenehmes Mädchen, nett und umgänglich, keine große Schönheit.
    „Es tut mir so leid, dass ich dich aufwecken musste“, sagt die Frau und seufzt in ihr Kissen. „Aber du hast gesagt, du kannst dir nicht schon wieder Ärger mit M r Dimowski leisten, und wenn du den Bus um 7.0 8 Uhr nicht kriegst, kommst du zu spät. Das hast du doch gesagt?“
    „Ist schon gut, Mum“, erwidere ich, ohne zu stocken. Wäre die Frau unter der Bettdecke nicht krank, ausgemergelt und vorzeitig gealtert, dann wäre Lela ihr genaues Ebenbild, nur dreißig Jahre jünger.
    Ich stehe auf und beuge mich über sie, küsse flüchtig ihre trockene Wange und rümpfe insgeheim die Nase, als mir ihr Geruch entgegenschlägt, diese Mischung aus verstrahltem Fleisch und Chemikalien. Behutsam rücke ich ihr buntes Kopftuch zurecht und ziehe die Decke über ihre
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher