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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder
Autoren: Evelyn Sanders
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Doch davon später.
    Bleiben noch die zwei restlichen Nachkommen, Nicole und Katja, die größte Überraschung meines Lebens, denn wer rechnet schon mit Zwillingen, wenn es in den eigenen Familien noch niemals welche gegeben hat und Ultraschall – damals zumindest – lediglich ein im Bereich der Physik angesiedelter Begriff war? In Großstadt-Krankenhäusern wird man über dieses nützliche Gerät wohl schon verfügt haben, in gynäkologischen Landpraxen wusste man vermutlich noch nicht einmal, was das überhaupt ist. Jedenfalls hat eine werdende Zwillingsmutter heutzutage wenigstens acht Monate lang Zeit, sich mental und nicht zuletzt finanziell auf den doppelten Zuwachs vorzubereiten (vom werdenden Vater gar nicht zu reden, denn dem schwant ja höchstens, was da so an Kosten auf ihn zukommt, von den tatsächlichen hat er glücklicherweise noch keine Ahnung), ich dagegen wurde vor die vollendete Tatsache gestellt! Aber der Mensch wächst bekanntlich mit seinen Aufgaben, außerdem verfügte ich schon über eine gewisse Praxis im Umgang mit Kindern (dass auch aus den niedlichsten und liebenswertesten Babys mal Teenager werden, wusste ich allerdings noch nicht, Sven war gerade erst zehn Jahre alt geworden), doch ohne Wenzel-Berta, die treue Seele in unserer damals nur auf Wanderkarten verzeichneten Dorf-Einöde, wäre ich vermutlich in Schwermut versunken oder hätte mich vom nächsten Weinberg gestürzt. Rundherum gab es ja nichts anderes, wenn man von den paar Wiesen mit ihren unermüdlich käuenden Kühen drauf mal absieht. Für eine Großstadtpflanze wie mich ein nicht gerade stimmungsfördernder Anblick.
    Schließlich kam der Tag, an dem wir in die Zivilisation zurückkehrten und uns in einem kleinen Kurort nahe Heilbronn niederließen, wo die paar Bauern, die es noch gab, ihre Kühe im Stall behielten, weil sie ihre Wiesen längst als Bauland verkauft hatten. Und die Weintrauben mussten sie auch im Supermarkt holen.
    Ein paar Kilometer von der Stadtmitte entfernt schlängelt sich der Neckar durch eine sehr geschichtsträchtige Gegend, denn auf so ziemlich allen umliegenden Burgen hat Götz von Berlichingen (Goethe sei Dank, ohne ihn würde den ja kaum jemand kennen) zeitweise gewohnt oder wenigstens einmal genächtigt. Wird behauptet! Da die heutigen Raubritter jedoch nicht mehr auf Burgen leben, sondern in Finanzämtern, hat man die am besten erhaltenen Gemäuer erst restauriert und dann modernisiert, auf dass zahlende Gäste bei gedämpftem Licht (elektrisch) und angenehm durchwärmt (Zentralheizung) aus dem Fenster der ehemaligen Kemenate über das Neckartal blicken und sich ausmalen können, wie wenig anheimelnd es in diesen Steinkästen vor ein paar hundert Jahren gewesen sein muss.
    Sascha hatte beschlossen, seine zweite Hochzeit auf einer dieser Burgen zu feiern. Einmal wegen der Romantik, zum anderen, weil er den Geschäftsführer kannte. Mit Ausschlag gebend war auch die etwas abseits stehende und nur über einen steilen Sand-Schotterweg erreichbare kleine Kapelle gewesen, notwendiges Ambiente für eine stilvolle Trauung. Die Zeremonie auf dem Standesamt hatte schon vor ein paar Monaten stattgefunden, und erst achtzehneinhalb Stunden vorher war Sascha eingefallen, dass er gar keinen Trauzeugen hatte, jedoch auf den in derartigen Situationen immer bereitwilligen Hausmeister, Pförtner oder Aktenboten nur im äußersten Notfall zurückgreifen würde. Hektische Telefongespräche zwischen Düsseldorf und den diversen Wohnsitzen der restlichen Sippe folgten, doch der Bräutigamsvater konnte nicht, ich wollte nicht, Sven war nicht erreichbar, Stefanie hatte Grippe, Nicki die rechte Hand in Gips, nur Katja fiel so schnell nichts ein – höchstens die Tatsache, dass sie eigentlich noch vorher zum Friseur müsste. Im Morgengrauen bretterte sie nach Düsseldorf, bezeugte durch diverse Unterschriften die soeben erfolgte Eheschließung des Sascha Sanders mit der nunmehr rechtmäßigen Gattin Nastassja, nahm zusammen mit Bruder, neuer Schwägerin und der zweiten Trauzeugin ein dem feierlichen Ereignis angemessenes Mittagsmahl ein, setzte sich wieder ins Auto und war sieben Minuten vor Beginn des Elternabends in der Schule. Das übrige Kollegium hatte schon überlegt, wie man den Angehörigen der Viertklässler das unentschuldigte Fehlen ihrer Klassenlehrerin plausibel machen sollte.
    Im Hochsommer folgte die »richtige« Trauung, also zu einem Zeitpunkt, der schönes Wetter und die einem Brautkleid zuträglichen
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